Beim Klimaschutz fielen am Montag zwei symbolbeladene Termine zusammen. Spätestens am 15. Juli jeden Jahres hatten einst die Ministerien, die ihre Klimabudgets überzogen, ein Sofortprogramm zum CO2-Einsparen vorzulegen.
Dieser Pflicht hätten mindestens zwei Ressorts – Wohnen und Bauen sowie Verkehr – auch dieses Jahr nachkommen müssen, jedenfalls nach Auffassung von Umwelt- und Klimaverbänden.
Denn Mitte Mai hatte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg einer Klage der Deutschen Umwelthilfe stattgegeben und geurteilt: Die Klimaschutzprogramme der Bundesregierung sind rechtswidrig und müssen kurzfristig um wirksame Maßnahmen nachgebessert werden.
Zu der Zeit verabschiedeten Bundestag und Bundesrat das entschärfte Klimaschutzgesetz der Ampel. Dieses hebt zwar nicht die Klimavorgaben für die Bereiche Energie, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft und Abfall auf – aber die bindende Verpflichtung fällt weg, die jeweiligen Sektorziele einzuhalten und Sofortprogramme aufzulegen.
Anfang Juni dann legte der Expertenrat für Klimafragen ein Sondergutachten zur Frage vor, ob Deutschland seine Klimaziele erreichen wird. Das Ergebnis: Die Klimaemissionen würden zwar "substanziell sinken", aber nicht genug, um bis 2030 das gesetzliche Klimaziel zu erreichen. Das sieht eine CO2-Reduktion um 65 Prozent gegenüber 1990 vor.
Der Expertenrat empfahl der Bundesregierung, nicht aufs erneute Verfehlen der Klimaziele zu warten, sondern zusätzliche Maßnahmen zu prüfen.
Zusammengefasst: Die Bundesregierung muss mit einer Verfehlung des 2030er Klimaziels rechnen, verabschiedet aber ein Gesetz, das die Einhaltung des Ziels weniger wahrscheinlich macht und entlässt sich auch noch aus der Pflicht, kurzfristig Abhilfe zu beschließen, wo nötig.
Verfassungswidrigkeit leuchtet Steinmeier nicht unmittelbar ein
Wird das dem Maßstab der Generationengerechtigkeit gerecht, den das Bundesverfassungsgericht in seinem berühmten Klima-Urteil vom März 2021 aufstellte?
Diese Frage von Amts wegen zu prüfen – damit ließ sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zwei Monate Zeit. Was und wie er oder sein Amt konkret "geprüft" haben, ist öffentlich nicht bekannt.
In seltener Unsensibilität für die Bedeutung des Tages gab Steinmeier allerdings just am 15. Juli bekannt, er habe das novellierte Klimaschutz unterzeichnet.
Die Prüfung habe keine "evidente Verfassungswidrigkeit" des Gesetzes ergeben, teilte das Präsidialamt mit.
Was heißt eigentlich "evident"? Nach der Wortbedeutung ist die Verfassungswidrigkeit nicht "unmittelbar einleuchtend" oder "naheliegend". Ganz ausgeschlossen hat der höchste deutsche Staatsrepräsentant die Verfassungswidrigkeit damit allerdings auch nicht.
Die Frage der Evidenz sehen Umwelt- und Klimaschützer ganz anders. Mit seiner Unterschrift legitimiere der Bundespräsident rückwirkend den Rechtsbruch der Bundesregierung beim Klimaschutz, reagierte der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt umgehend.
Für den Umweltverbandschef hat das Verfassungsgericht 2021 ein klares Urteil gesprochen. Doch die Ampel-Koalition verweigere die Umsetzung, kritisiert Bandt.
Wie angekündigt, legt der BUND nun zusammen mit dem Solarenergie-Förderverein SFV und vier Einzelpersonen Verfassungsbeschwerde ein. Weitere Klagen kommen von Greenpeace, Germanwatch sowie der Deutschen Umwelthilfe (DUH).
Aufschieben, bis nichts mehr geht
Die Umwelthilfe erläuterte ihre Klage am Dienstag. Dabei führte DUH-Anwalt Remo Klinger mehrere Gründe dafür an, dass auch das neue Klimaschutzgesetz ziemlich evident verfassungswidrig ist.
So schaffe das neue Klimagesetz den ursprünglichen Pfad für eine klare Emissionsminderung ab. Wirklich relevant seien künftig nur "zweieinhalb Töpfe", erklärte Klinger.
Der erste "Topf" umfasse die gesamten 2020er Jahre und der zweite das 2030er Jahrzehnt. Zu diesen zwei Dekaden komme dann noch ein "halber Topf" mit dem Zeitraum von 2040 bis 2045, umschrieb der Rechtsanwalt das methodische Vorgehen der Ampel, zwischen den drei verschiedenen Phasen der Emissionsminderung quasi eine Mauer zu errichten.
Eine Folge davon ist: Weil die Ampel den Klimaschutz gerade in schwierigen Sektoren wie Verkehr und Gebäude auf die Zeit nach 2030 verschiebt, tritt danach der klimapolitische GAU ein. So warnen nicht nur die Umweltschützer, sondern auch die Experten.
Als eindeutigen Verstoß gegen die Verfassungsmäßigkeit wertet Klinger, dass im neuen Klimagesetz sämtliche Programme im Jahr 2040 abbrechen. Das Ziel, 2045 Treibhausgasneutralität zu erreichen, stehe zwar noch im Gesetz, werde aber nicht mehr konkret in den Blick genommen, kritisierte der Jurist.
Darüber hinaus verklagt die Umwelthilfe die Bundesregierung vor dem Verwaltungsgericht Berlin wegen der wiederholt viel zu späten Vorlage des Klimaschutzberichts. Der Bericht für 2023 war eigentlich Anfang Juli fällig. Einige Wochen vorher war aber erst der Bericht für 2022 vorgelegt worden.
"Die systemische Verletzung des Klimaschutzgesetzes ist ein Novum in der deutschen Umweltrechtsgeschichte", brachte Klinger seine Eindrücke auf den Punkt.
DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch stört besonders der "Freifahrtschein gegen den Klimaschutz", den die Bundesregierung Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) gerade ausgestellt habe. "Anstatt die riesige CO2-Lücke von 180 Millionen Tonnen im Verkehr schließen zu müssen, weitet die Ampel-Regierung die finanzielle Förderung von Luxus-Geländewagen mit Verbrennungsmotoren aus und schwächt gezielt den Schienengüter- und Personenverkehr", sagte Resch.
Zumindest diese Kritik ist ziemlich evident und bedarf derzeit keiner weiteren Nachweise. Wie das Bundesverfassungsgericht über das Klimagesetz urteilt, werden wir voraussichtlich erst in anderthalb Jahren wissen. Mit dieser Verfahrensdauer rechnet jedenfalls Remo Klinger.
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