Klimaschutz per Kernfusion? Daran glaubt die Bundesregierung. Letzte Woche beschloss das schwarz-rote Kabinett einen "Aktionsplan Fusion". Von einem Flaggschiff der deutschen Hightech für sichere, klimafreundliche und bezahlbare Energie sprach Forschungsministerin Dorothee Bär (CSU) diese Woche im Bundestag.

Für die Kernfusionsforschung macht die Regierung bis 2029 mehr als zwei Milliarden Euro locker. Damit soll in Deutschland das erste Fusionskraftwerk der Welt gebaut werden, bekräftigte Bär im Parlament.

 

Mit dem Bau würden einige millionenschwere Start‑ups gern eher heute als morgen beginnen, das zeigte sich am Donnerstag auf dem Klimakongress 2025 des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) in Berlin.

Die zwei Milliarden reichen dazu allerdings nicht, denn von denen sind nur etwa 750 Millionen Euro wirklich zusätzliches Geld, rechnete Milena Roveda von der Gauss Fusion GmbH aus München vor.

Gebraucht werden nach Ansicht der Fusionsbranche um die drei Milliarden öffentliches Geld, um ein, wie Vertreter betonten, kommerzielles Demonstrations-Kraftwerk bauen zu können.

Es sei jetzt genug über Fusionsenergie geredet worden. Die öffentliche Hand müsse nun klarstellen, dass es ans Machen gehe, damit die Risikokapitalgeber an Bord bleiben, hieß es weiter.

Fusionsenergie wird zur geopolitischen Waffe erklärt

Die Dringlichkeit bekräftigt die Branche inzwischen auch damit, bei der Fusionsenergie gehe es um mehr als den Klimawandel – sie sei inzwischen auch eine geopolitische Waffe, erklärte Milena Roveda. Sie warnte vor den bekannten Folgen energiepolitischer Abhängigkeiten von Russland und anderen Ländern.

Im Unterschied zur Regierung glaubt die Branche allerdings nicht, dass Deutschland so ein Kraftwerk allein hinbekommt. Sie beharrt auf einer europäischen Lösung. Nur so seien die nötigen Lieferketten zusammenzubekommen, wurde begründet. Für eine Nation oder Firma sei ein Fusionskraftwerk zu groß.

Leider ist sich die Branche nicht einig, welcher Fusionstechnologie die Zukunft gehört – der auf der Basis von Superlasern oder der auf der Basis von Supermagneten. Am besten wäre so vielleicht, man baut zwei Kraftwerke oder beide Technologien in einem, wurde auf dem Fusionspanel ernsthaft erwogen.

Erstmal machen und ob was fürs Klima herauskommt, das wird man sehen. So klang es auf dem BDI-Klimakongress. Ein anderer Tenor bestand in einer scharfen Abrechnung mit der Klimapolitik der letzten Jahre, wenn nicht des letzten Jahrzehnts.

BDI-Präsident sieht fundamentalen Fehler bei der Klimapolitik

Die Zeiten, als der Spitzenverband der Industrie noch Studien zu durchgerechneten Transformationspfaden vorlegte, sind passé. BDI-Präsident Peter Leibinger forderte ein grundlegendes Umdenken.

Die Klimapolitik leide am "fundamentalen Fehler", zu denken, eine kleinteilige staatliche Lenkung und detaillierte Vorgabe des Weges zum Ziel sei die Lösung. Im Fokus auf die Elektrifizierung von allem und in einem De-facto-Verbot anderer Technologien sieht Leibinger weitere Fehler. 

Zu den großen CO2-Emittenten in Deutschland gehört die Chemieindustrie. (Bild: Jörg Steber/​Shutterstock)

Im Windschatten des BDI-Präsidenten stellten einige Vorstandschefs auch den Sinn von bisher akzeptierten marktwirtschaftlichen Klimainstrumenten wie dem Emissionshandel infrage. Werde der CO2-Preis in der heutigen Form beibehalten, werde es die Industrie in Deutschland in der Form nicht mehr geben, schilderte Shell-Geschäftsführer Felix Faber die Zukunft. 

Derzeit erhält die energieintensive Industrie in Deutschland noch etwa 90 Prozent ihrer CO2-Zertifikate kostenlos zugeteilt. Dennoch gilt Klimapolitik dort inzwischen als eine Art Bleiweste, die man loswerden muss.

Als besonders lästig wird empfunden, dass ab 2039 im europäischen Emissionshandel für Energie und energieintensive Industrie, dem "ETS 1", keine neuen Zertifikate mehr ausgegeben werden sollen.

BASF-Chef stellt gesetzliche Klimaziele infrage

Viele Wertschöpfungsketten könnten bis dahin nicht dekarbonisiert werden, warnte Markus Kamieth, Vorstandschef von BASF. Mögliche Einwände, 2039 liege noch ein wenig in der Zukunft und das Tempo der Dekarbonisierung ließe sich auch erhöhen, konterte Kamieth mit dem Hinweis, das festgelegte Ende für neue Zertifikate werde schon in den nächsten Jahren dazu führen, dass viele Unternehmen Emissionsrechte horten und die CO2-Preise in die Höhe schießen würden.

Kamieth, Chef des nach Umsatz größten Chemiekonzerns der Welt, stellte auch die gesetzlichen Klimaziele infrage. Ob Deutschland 2045, 2047 oder im Herbst 2048 CO2-neutral werde, sei egal, erklärte er. Und selbst wenn Deutschland überhaupt nicht klimaneutral werde, mache das keinen großen Unterschied – wichtiger sei, den Hochlauf von Klimatechnologien zu organisieren, forderte der BASF-Chef.

Auf ein Verschieben des Zertifikate-Stopps auf die Zeit nach 2039 ließ sich der zum BDI-Kongress zugeschaltete EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra vorerst nicht ein. Die Europäische Kommission werde aber prüfen, ob aus dem aktuellen deutschen Klimagesetz die Regel übernommen werden könne, die Emissionen der einzelnen Sektoren miteinander zu verrechnen.

Des Weiteren bekräftigte Hoekstra den Vorschlag, aus den Einnahmen des Emissionshandels eine mit 100 Milliarden Euro ausgestattete EU-Industriedekarbonisierungsbank zu schaffen. Davon werde auch Deutschland einen Nutzen haben, weil sich deutsche Unternehmen künftig um Förderung bewerben könnten, warb Hoekstra.

Umweltministerium für Ausgabe neuer CO2-Zertifikate nach 2040

Deutlicher als die EU gibt das Bundesumweltministerium dem Druck aus der Industrie nach. Deutschland werde sich bei der EU-Kommission dafür einsetzen, die Ausschüttung von Zertifikaten über 2040 hinaus zu verlängern, sicherte Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth auf dem Kongress zu.

Flasbarth wäre auch dafür, die Zuteilung kostenloser Zertifikate an energieintensive Unternehmen zu verlängern – und zwar für den Fall, dass der CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) die Nachteile für die Industrie nicht auszugleichen vermag.

Gegenüber den Industrievertretern räumte Flasbarth zwar ein, dass der Klimaschutz derzeit unter Druck ist, warnte aber, das dahinterstehende Problem Klimawandel sei nicht weg. Dessen reale Entwicklung bestätige sogar diejenigen, die ein düsteres Bild zeichneten, betonte der langjährige staatliche Klimaschützer. Dennoch schwinde die Bereitschaft zum Handeln.

Das Fazit trifft auch auf die deutsche Industrie zu. Geschäfte unter dem Label Klima werden gern gemacht, ob sie aber dem Klimaschutz nützen, bleibt vielfach offen.

 

Und was die Kernfusion angeht: Die Experten des Thinktanks Energiesysteme der Zukunft wiesen vor einiger Zeit nach, dass neue Fusionskraftwerke keinen Beitrag zur Klimaneutralität bringen können, weil sie dafür einfach zu spät kommen. Auch als sogenannte Grundlastkraftwerke werden sie im künftig erneuerbaren Stromsystem nicht gebraucht.

Das kann die Fusionsbranche und ihre Geldgeber nicht beirren: Wenn so ein Kraftwerk erst einmal dasteht, wird es schon einen Zweck haben. Erstmal machen.