Fridays-for-Future-Demonstration mit Transparent:
"Wir streiken, bis ihr handelt!" Die Bundesregierung glaubt offenbar, dass die Kinder und Jugendlichen sich das noch mal überlegen werden. (Foto: Leonhard Lenz/​Wikimedia Commons)

Nun ist es also da: das große Klimapaket der Bundesregierung. Um es vorwegzunehmen: Nicht alles daran ist schlecht. Es wäre aber zu viel der Ehre für dieses Papier, würde man bei der Suche nach dem positiven Detail den Blick aufs große Ganze verlieren: Das Klimapaket ist nicht ansatzweise das, wofür hunderttausende Menschen allein in Deutschland bei den Klimastreiks am letzten Freitag eingetreten sind.

Und das Paket wird erheblich zu spät geliefert. Wichtige Maßnahmen sollen erst ab 2021 mal so langsam eingeführt werden.

Unterm Strich hat die Bundesregierung zwar die große Förder- und Maßnahmen-Gießkanne rausgeholt. Aber sie hat nichts dafür getan, systemisch den fruchtbaren Boden zu bereiten, auf dem Klimaschutz tatsächlich wachsen kann. Das ist haarsträubend, fahrlässig und mutlos. Drei Beispiele.

Ein wirksamer CO2-Preis gilt gemeinhin als entscheidend für wirksamen Klimaschutz. Er kann in allen Zweigen der Wirtschaft und des Lebens Effizienzsteigerungen und erneuerbare Energien breit voranbringen. Und er kann über Ausgleichsmechanismen sozial ausgewogen gestaltet werden.

Nur eins ist wichtig: Der Preis muss schnell kommen. Je später wir mit Klimaschutz beginnen, desto teurer wird es werden. Die Lösung der Bundesregierung? Zehn Euro je Tonne CO2 für Emissionen im Wärme- und Verkehrssektor ab 2021, anschließende Steigerung in Trippelschritten bis 2025.

Gesichtswahrung statt Sacharbeit

Tatsächlich musste ich erst einmal tief durchatmen, als ich das gelesen habe. Mit Enttäuschungen hatte ich gerechnet – das aber ist geradezu bodenlos. Die CO2-Bepreisung sei "ein Kompromiss, da brauchen wir gar nicht lang rumzureden", erklärte sich die Kanzlerin. Es gibt also mehrheitsfähige Positionen in den Regierungsparteien, denen sogar die zehn Euro zu aggressiv sind? Das ist haarsträubend.

Der CO2-Handel kommt nicht nur zu spät und mit unangemessenen Preisen – er wird auch nach der langen Startphase seiner wichtigsten Wirkung beraubt: einem klaren marktlichen Preissignal. Denn in dem erst 2026 startenden eigentlichen Handel mit Verschmutzungsrechten gilt eine Obergrenze von 60 Euro je Tonne.

Porträtaufnahme von Tim Meyer.
Foto: Naturstrom

Tim Meyer

hat Elektro­technik studiert und am Fraunhofer-Institut für Solare Energie­systeme promoviert. Nach Tätigkeiten in der Fraunhofer-Gesellschaft, der Industrie und als Gründer im Solarstrom­markt kam er 2015 zu Naturstrom. Heute ist er Vorstand bei dem Öko-Energie­versorger und Mitglied des Kuratoriums von Klimareporter°.

Echte Lenkungswirkung wird der Handel so auch dann nicht entfalten. Und bis 2025 wird der Preis gleich gesetzlich vorgegeben, wirkt also wie eine Steuer, die allerdings viel einfacher einzuführen wäre.

Alles klar? Hier ging es wohl eher um Gesichtswahrung der Parteien auf dem politischen Basar als um dringend notwendige Sachpolitik. Das ist fahrlässig.

Energiepolitisch haarsträubend

Kurz nach Veröffentlichung des Papiers waren – als zweites Beispiel – auch einige überraschend positive Punkte in den Schlagzeilen. Einer davon: das Verbot neuer Ölheizungen ab 2026. Mit einem Mitdemonstranten auf der Fridays-for-Future-Demo in Hamburg war ich mir schnell einig: Das wäre doch mal was!

Zurück im Büro las ich dann die Passage im Klimapaket genau: Dieses Ölheiz-Verbot soll für Gebäude gelten, "in denen eine klimafreundlichere Wärmeerzeugung möglich ist". Das liest sich dann doch eher wie eine Hintertür in Scheunengröße. Das ist mutlos.

Beispiel drei. Konkretes zum beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien sucht man vergebens im Klimapaket. Da der CO2-Preis zunächst kaum wirken wird, wäre mindestens nötig, dass die Regierung mal erklärt, wie sie denn das noch einmal bekräftigte 65-Prozent-Ziel beim Ausbau von Solar- und Windkraft organisieren will – insbesondere wo die angedachte verstärkte Nutzung von E-Mobilität und Wärmepumpen einen deutlich höheren Strombedarf nach sich ziehen wird.

Auch da wird es im Paket mal haarsträubend – mehr Windkraft bitte, aber mit Mindestabstand von 1.000 Metern –, mal fahrlässig – kein Wort zu der dringend notwendigen Generalüberarbeitung energiewirtschaftlicher Gesetze wie etwa des Umlagen- und Abgabensystems – und mal mutlos: Dass der schon von Beginn an vollkommen widersinnige Photovoltaik-Deckel fällt, dürfte eher dem Selbsterhaltungstrieb der Regierung geschuldet sein.

Zum Mieterstrom gibt es lediglich einen Prüfauftrag, obwohl schon im Frühsommer aus der Regierung erklärt wurde, dass hier noch dieses Jahr Verbesserungen folgen sollen und auch der gerade erschienene Evaluationsbericht der Bundesregierung den Handlungsbedarf in diesem Bereich noch einmal betont.

Im Gebäude- und Wärmebereich gibt es ein paar Lichtblicke, aber die reißen es auch nicht raus.

Wer hat den Mut zur unbequemen Wahrheit?

Ich bin wütend, dass die Stimmen von Millionen Demonstrantinnen und Demonstranten, tausenden zukunftsorientierten Unternehmen und tausenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern noch immer nicht gehört werden.

Ja, die Diskussion über die Klimakrise und das notwendige Handeln ist endlich in der breiten öffentlichen Debatte und in der Politik angekommen.

Covering Climate Now

Klimareporter° beteiligt sich wie rund 250 andere Zeitungen und (Online-) Magazine weltweit an der Initiative "Covering Climate Now". Die teilnehmenden Medien verpflichten sich, vor allem in der Woche vor dem New Yorker UN-Klimagipfel am 23. September über die Klimakrise zu berichten. Wir freuen uns über die Bewegung in der Medienlandschaft. Klimaschutz braucht guten und kritischen Journalismus.

Aber zum Handeln reicht es offenbar noch immer nicht. Der Politik fehlt der Mut, unbequeme Wahrheiten auszusprechen: Die Modernisierung unserer Infrastruktur und unserer Lebensweise wird nicht umsonst zu haben sein.

Er wird auch Verlierer erzeugen, persönliche Verhaltensänderungen erfordern und Abschreibungen in Unternehmensbilanzen. So gut es geht, kann und müssen Härten abgefedert werden.

Generell Veränderungen vermeiden zu wollen, endet jedoch im Stillstand – und verspielt die großen Chancen einer echten Energiewende für Wirtschaft und Gesellschaft. Die Bevölkerung ist da zu großen Teilen weiter.

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