Matthias Willenbacher
Matthias Willenbacher. (Foto: Wiwin)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.

Klimareporter°: Herr Willenbacher, Bund und Länder sowie die EU wollen Milliarden ausgeben, um die wirtschaftliche Krise nach dem Corona-Lockdown zu bewältigen. Eine Studie der Uni Oxford sagt jetzt, dass Klima-Konjunkturprogramme traditionellen Rettungsschirmen gesamtwirtschaftlich überlegen seien. Wenn Sie Finanzminister wären – wie würden Sie das Geld ausgeben?

Matthias Willenbacher: Wenn die Coronakrise eines lehrt, dann, dass entschlossenes und mutiges Handeln nicht nur gesellschaftlich akzeptiert, sondern sogar anerkannt wird. Daher würde ich, wenn ich tatsächlich als Finanzminister entscheiden könnte, ein Konjunkturprogramm für die grüne Wirtschaft für dieses Jahrzehnt auflegen, wie es das seit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat – mit möglichst viel regionaler Wertschöpfung.

Die Gegenfinanzierung muss über eine Klimaabgabe erreicht werden. Das Konjunkturprogramm sollte aus einer Mischung aus ordnungsrechtlichen Vorgaben und finanziellen Anreizen bestehen.

Es sollte vorsehen, dass in jeder Gemeinde drei Windräder mit jeweils rund fünf Megawatt Leistung stehen müssen. Dabei sollten Windradhersteller und -betreiber mit hoher regionaler Wertschöpfung belohnt werden.

Für Solarpaneele sollte eine Fläche von etwa 3.500 Quadratkilometern bereitgestellt werden. Das entspricht etwa einem Prozent der Fläche Deutschlands. Auch hierbei sollte regionale Wertschöpfung belohnt werden, mit dem Ziel, wieder eine eigene Zell- und Modulproduktion in Deutschland aufzubauen. Ebenso sollten die Batteriezellfertigungskapazitäten in Deutschland und Europa ausgebaut werden.

Drittens sollte Sektorenkopplung belohnt werden. Im Verkehrsbereich würde ich Mobilität und nicht den Autokauf fördern, damit nicht nur Reiche profitieren.

In der Landwirtschaftspolitik würde ich einen klaren Fokus auf die Unterstützung der regionalen biologischen Landwirtschaft legen und die Gastronomie unterstützen, die deren Produkte anbietet. Das Ziel ist klar: Fleisch aus Massentierhaltung muss durch eine Klimaabgabe wieder teurer sein als Obst und Gemüse.

In der Industriepolitik würde ich Alternativen zu Beton und Stahl fördern. Viele weitere Punkte sind denkbar.

Worauf es mir ankommt: So entschlossen, wie die Politik jetzt in der Coronakrise gehandelt hat, ein so konsequentes und rigoroses Handeln erwarte ich auch in der Klimakrise, die die wirkliche Bedrohung für die Menschheit darstellt.

Wie stark ist nach Ihrem Eindruck die gesamte Erneuerbaren-Branche von den Folgen der Coronakrise betroffen – von unterbrochenen Lieferketten, Projektverzögerungen oder stornierten Aufträgen. Muss hier ein spezielles Hilfspaket geschnürt werden?

Ich sehe, von Einzelfällen abgesehen, nicht, dass Corona für die Branche ein Problem darstellt. Das eigentliche Problem ist das gleiche, das wir schon aus der Vor-Corona-Zeit kennen: die Unzuverlässigkeit der Politik.

Würde die Bundesregierung die Ziele wirklich verfolgen, die sie beschlossen oder mitgetragen hat, würde es der Branche gut gehen. Das beginnt mit der Abschaffung des 52-Gigawatt-Solardeckels und geht über eine anspruchsvolle Umsetzung des Clean Energy Package der EU bis hin zu Ausbauzielen für Erneuerbare, die den Zielen des Pariser Klimaabkommens entsprechen.

Gefragt ist also kein Corona-Hilfspaket, sondern Ernsthaftigkeit, Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewusstsein in der Energie- und Klimapolitik – also Tugenden, die eigentlich selbstverständlich sein sollten.

Eines müssen wir aber in jedem Fall sehen: Wir brauchen wieder mehr regionale Wertschöpfung und eine regionale Kreislaufwirtschaft, um gerade nicht unter den Abhängigkeiten von globalen Lieferketten zu leiden.

Das Treffen der Energieminister von Bund und Ländern Anfang der Woche brachte aber keine gesetzgeberischen Fortschritte. Nach wie vor wird die Aufhebung des Solardeckels und der Windrad-Mindestabstände blockiert, warten wir auf das Kohleausstiegsgesetz und die EEG-Novelle. Warum blockt die Regierung hier? 

Das ist inzwischen allgemein bekannt: Der Wirtschaftsflügel der Union um Fraktionsvize Carsten Linnemann und Staatssekretär Thomas Bareiß nutzt den Solardeckel als Faustpfand, um die Mindestabstände für Windräder in ganz Deutschland einzuführen.

Das Ziel ist klar: Unter dem Deckmantel der Akzeptanzerhaltung soll die Windkraft weiter blockiert werden. Und erst wenn dazu die SPD ihre Zustimmung erteilt, soll der 52-Gigawatt-Deckel fallen.

Bis Anfang Juni soll sich eine Arbeitsgruppe von Regierung und Autoindustrie Absatz- und Verkaufshilfen für die angeschlagene Branche in Milliardenhöhe überlegen. Wie ist den Autoherstellern überhaupt noch zu helfen?

Jedenfalls nicht mit Kaufprämien für Autos mit Verbrennungsmotor. Die deutsche Autoindustrie wäre gut beraten, in der Coronakrise eine Chance zu erkennen. Nämlich die Chance, sich endlich zukunftsfähig aufzustellen.

Wenn sie jetzt aber ihre Lobbybemühungen darauf konzentriert, Staatshilfen ohne Gegenanstrengungen zu bekommen, beweist sie nur eins: Sie ist im Gestern verhaftet und das Quartalsergebnis ist ihren Bossen wichtiger als die Zukunftsfähigkeit.

Seit Jahrzehnten sagen alle, die sich auskennen: Die Mobilität des 21. Jahrhunderts wird ganz anders aussehen als die Mobilität des 20. Jahrhunderts. Das Problem ist nur: Das 21. Jahrhundert ist bereits zu einem Fünftel vorbei. Wann, wenn nicht jetzt, will sich die deutsche Autoindustrie modernisieren?

Wenn sie dazu alleine nicht imstande ist, muss man sie eben zwingen. Und das ist genau das Positive an der augenblicklichen Situation. Die Regierung kann konkrete und ambitionierte Fortschritte einfordern. Sonst gibt es kein Staatsgeld.

Frankreich hat dies in Ansätzen bei der Air France vorgemacht. Deshalb darf es keine Fördergelder für Verbrenner-Fahrzeuge mehr geben, sondern nur für zukunftsfähige Mobilität wie eben zum Beispiel E-Fahrzeuge.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Die Meldung, dass Polen hinter der Idee steht, Corona-Krisenprogramme der EU mit Klimaschutz zu verbinden. Demnach spricht sich Warschau für einen grünen Wandel aus, der CO2-Emissionen reduziert und Beschäftigung schafft. Damit bleibt die tschechische Regierung mit ihrer Propaganda gegen den Green Deal nun allein auf weiter Flur.

Es gibt also Grund zur Hoffnung, dass auch konservative oder populistische Regierungen einsehen, dass eine ehrgeizige Klima- und Umweltpolitik gut für Natur, Menschen und die Wirtschaft ist. ​

Fragen: Jörg Staude

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