Waldsterben im Schwarzwald: Bei der Landnutzung ist die Klimalücke inzwischen mit Händen zu greifen. (Bild: Heinrich Spiecker)

Viel nachrechnen beim Klimaschutz musste das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg am gestrigen Donnerstag offenbar nicht mehr. Ursprünglich hatte das OVG sein Urteil erst am kommenden Mittwoch, nach den Pfingsttagen, verkünden wollen.

Doch dann dauerte es gestern nach Verhandlungsende nur wenige Stunden, bis zuerst die Klägerin, die Deutsche Umwelthilfe (DUH), ihren Erfolg verkündete. Eine Stunde später teilte das Gericht selbst die Entscheidung gegen die Bundesregierung mit.

Im Kern ging es bei der Klage um das im Herbst letzten Jahres von der Bundesregierung beschlossene Klimaschutzprogramm 2023. Zur CO2-Minderung sollten darin vor allem vier Maßnahmen beitragen: das zuvor quälend lange diskutierte Gebäudeenergiegesetz, das inzwischen verlängerte Deutschlandticket, die CO2-abhängige Lkw-Maut sowie schnellere Verfahren und mehr Flächen für den Erneuerbaren-Ausbau.

Im Bereich der Landnutzungsänderungen, abgekürzt LULUCF, berief sich das Klimaprogramm vor allem auf Vorhaben zum natürlichen Klimaschutz, mit denen CO2-Senken wie Wälder und Moore, aber auch der Schutz der Biodiversität vorangebracht werden sollen.

Die Bundesregierung räumte im Herbst dabei selbst ein: Mit ihrem Klimaprogramm rücke zwar das Klimaziel für 2030 – eine CO2-Reduktion um 65 Prozent – erstmals in Reichweite, allerdings lasse sich die in dem Zeitraum vorhandene Klimalücke nur zu höchstens 80 Prozent schließen. "Es verbleibt eine Lücke von circa 200 Millionen Tonnen bis 2030", verkündete die Regierung wörtlich.

"Methodische Mängel" und "unrealistische Annahmen" 

Angesichts dessen fiel es dem Gericht offenbar nicht schwer, zu der Überzeugung zu kommen, das Klimaschutzprogramm 2023 erfülle die gesetzlichen Vorgaben nicht vollständig und auch einzelne Sektoren – ausgenommen die Landwirtschaft – hielten ihren Reduktionspfad nicht ein.

Zudem leide das Klimaprogramm an "methodischen Mängeln" und beruhe teilweise auf "unrealistischen Annahmen", erklärte das OVG weiter. Auch diese Wertungen sind wenig überraschend. Ähnliche Aussagen hatte es zuvor schon vom Expertenrat für Klimafragen, von verschiedenen Instituten sowie von Klima- und Umweltschutzverbänden gegeben.

DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch wertet das Urteil folgerichtig als "verdiente Ohrfeige für die Pseudo-Klimaschutzpolitik der Bundesregierung". Das Klimaschutzprogramm 2030 und seine Vorgänger seien damit rechtswidrig.

Die Regierung könne sich nun nicht länger aus der Verantwortung stehlen und wirksame Maßnahmen wie ein Tempolimit auf Autobahnen oder ein Ende der Förderung klimaschädlicher Dienstwagen verweigern, so Resch weiter. Noch in dieser Legislaturperiode, also spätestens 2025, müsse die Bundesregierung hierzu weitreichende Beschlüsse fassen.

Nach Ansicht der Umwelthilfe erledigt sich das OVG-Urteil auch nicht durch das baldige Inkrafttreten des abgeschwächten Klimaschutzgesetzes, das Ende April im Bundestag beschlossen wurde.

Rechnerisch ist die Klimaschutzlücke verschwunden

Bei den Regeln für die Landnutzungsänderungen gibt es im neuen Klimagesetz tatsächlich keine substanziellen Änderungen. Das Ziel, 2030 durch renaturierte Ökosysteme eine CO2-Senkenleistung von jährlich netto 25 Millionen Tonnen zu erreichen, liegt in weiter Ferne. 2022 resultierten aus der Landnutzung immer noch Netto-Emissionen von fast vier Millionen Tonnen.

Die DUH verlangt hier, einen Strukturwandel in der Landnutzung anzustoßen. Dazu gehören für die Umweltorganisation die nasse Bewirtschaftung und Wiedervernässung von Mooren sowie die Begrenzung des Holzeinschlags in den Wäldern. Es gelte, die Ökosysteme massiv zu stärken.

Für die anderen Bereiche – Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude und Abfall – legte die Bundesregierung in diesem Frühjahr eine neue "Treibhausgas-Projektion" aus dem Umweltbundesamt (UBA) vor. Darin ist die 200-Millionen-Tonnen Lücke rechnerisch verschwunden. In der Gesamtbilanz aller Sektoren wird das Klimaziel 2030 erreicht.

Über diesen veränderten Rahmen ist sich auch die Umwelthilfe im Klaren. Es werde auf eine gerichtliche Überprüfung von Projektionsdaten ankommen, betont die Organisation am Donnerstagabend. Sie sieht das Klimaziel für 2030 auch nach der jüngsten UBA-Projektion nicht eingehalten.

Gründe dafür haben bereits verschiedene Thinktanks aufgelistet, auf die sich die DUH beruft. So vernachlässigt der Projektionsbericht des UBA das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts. In dessen Folge fehlen dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) des Bundes über mehrere Jahre insgesamt 60 Milliarden Euro. Klimamaßnahmen wie Kaufprämien für Elektroautos oder die Bundesförderung für effiziente Gebäude sind damit gestrichen.

 

Von der Bundesregierung gab es bis in die Nacht hinein keine öffentliche Reaktion auf das OVG-Urteil. Die Ampel hatte vor wenigen Tagen noch versucht, den Verhandlungstermin zu verlegen. Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wurde zugelassen.

Ergänzung um 16:15 Uhr: Das Bundeswirtschaftsministerium will das Urteil und die Begründung zunächst genau prüfen. Das gelte auch für eine mögliche Revision, erklärte eine Sprecherin des Ministeriums laut Agenturberichten. Nach Angaben des Gerichts hat die Regierung nach Zustellung des vollständigen Urteils einen Monat Zeit, um in Revision zu gehen.

Lesen Sie dazu unseren Kommentar: Klimapolitik der Peinlichkeiten