Nahaufnahme: Bier mit viel Schaum darauf
Um ihre Untertanen gewogen zu stimmen, spendierten bereits die Pharaonen Freibier. (Foto: Pattern Pictures/​Pixabay)

Klimawandel? In Deutschland kein Problem. Die Bundesregierung hat am 20. September ein klares Signal gesetzt: Ja, wir wissen, es gibt einen Klimawandel, aber bei der Bekämpfung wollen wir keinem irgendwie wehtun.

Sollte es vielleicht aufgrund eines in vielen Jahrzehnten einmal irgendwann steigenden CO2-Preises tatsächlich an der Zapfsäule zu Preissteigerungen von zwei bis drei Cent kommen, dann kompensieren wir das ganz fix.

Fahren Sie einfach noch mehr Auto. Mit der beschlossenen Erhöhung der Entfernungspauschale wird das alles von den Steuerzahlern mehr als ausgeglichen.

Klar, es sollten etwas weniger Autos mit Verbrennungsmotoren sein, wer wünscht sich das nicht? Aber das kostet ja so viel, und wir, die Bundesregierung, können da auch nix machen, weil wir ja immer noch den Dieselpreis mit knapp acht Milliarden Euro verbilligen.

Okay, wir kümmern uns jetzt mal darum, dass vielleicht mehr Ladesäulen für E-Autos gebaut werden. Natürlich wollen auch wir – wer nicht – dass mehr Bahn gefahren wird. Der Laden gehört uns ja und wir geben da jetzt ein paar Prozent nach.

Ach ja, das mit den Billigfliegern, das ist uns etwas aus dem Ruder gelaufen, weil wir mit rund einer Milliarde Euro überall Flughäfen gebaut haben. Wenn es irgendwie geht, dann schaffen wir es, dass in ganz Deutschland kein Flug mehr unterhalb von 25 Euro angeboten wird. Aber da sind wir uns noch nicht ganz sicher, ob das wirklich klappt.

Andreas Knie
Foto: Sebastian Knoth

Andreas Knie

Der Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Wissenschaftsforschung, Technikforschung und Mobilitätsforschung lehrt an der TU Berlin und leitet die Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik am Wissenschaftszentrum Berlin. Er ist Mitglied im Klimareporter°-Kuratorium.

So – da kann man jetzt aber nicht meckern, oder? Als Bürger fühlt man sich mitgenommen und überhaupt nicht abgehängt, denn die Losung lautet: Ihr könnt so bleiben, wir ihr seid!

Wunderbar! Schaff ich mir doch gleich noch ein Auto an und suche mir ein weiteres Häuschen oder eine Wohnung im Grünen, es wird ja alles bezahlt!

Nur für unsere jüngeren Leser und Leserinnen sei daran erinnert, dass Politik früher einmal ganz anders funktioniert hat. Menschen hatten ein Programm, das klar über die Alltagssorgen hinausging und Vision reklamierte.

Willy Brandt, Ältere erinnern sich noch, hatte 1966 den blauen Himmel über der Ruhr ausgerufen und auch noch die Verständigung mit dem Ostblock als Ziel seiner Politik formuliert.

Zu dieser Zeit waren mutmaßlich 90 Prozent der Bevölkerung für diese Idee überhaupt nicht zu gewinnen, aber: Überraschung! Die Sozialdemokratie hielt daran fest und – man kann es sich heute gar nicht mehr vorstellen – gewann 1972 in Westdeutschland die Wahl bei einer Wahlbeteiligung von 91 Prozent mit 46 Prozent der Stimmen.

Stellen wir uns kurz das fast Undenkbare vor: Die Bundesregierung verkündet, ja, wir haben einen Klimawandel und wir wollen was dagegen tun und wir kündigen hiermit an: Neuzulassungen von Fahrzeugen mit Verbrennungskraftmaschinen wird es ab 2025 nicht mehr geben!

Tacheles!

In unserer neuen Kolumne "Tacheles!" kommentieren Mitglieder unseres Kuratoriums in loser Folge aktuelle politische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen.

Zugelassen werden zudem nur noch Fahrzeuge, wenn ein privater Stellplatz nachgewiesen wird, denn das Abstellen auf öffentlichem Grund ist nur zum Halten bis maximal drei Minuten erlaubt.

Was würde passieren? Die viel zitierte Bevölkerung auf dem Land oder am Stadtrand würde sagen: Okay, ich muss dann mal auf elektrisch umstellen, aber einen Stellplatz habe ich allemal, und ehrlich: mehr als 300 Kilometer an einem Stück fahre ich nur zweimal im Jahr.

Und die Städter? Tja, die müssten natürlich darüber nachdenken: Uff, ein privater Stellplatz kostet mehr als 80 Euro im Monat. Ist mir das Auto, das ich nur zweimal die Woche brauche, das wert? Kann ich vielleicht doch mit Alternativen glücklich werden?

Aber keine Sorge: So weit sind wir ja noch nicht.

Covering Climate Now

Klimareporter° beteiligt sich wie rund 250 andere Zeitungen und (Online-)Magazine weltweit an der Initiative "Covering Climate Now". Die teilnehmenden Medien verpflichten sich, vor allem in der Woche vor dem New Yorker UN-Klimagipfel am 23. September über die Klimakrise zu berichten. Wir freuen uns über die Bewegung in der Medienlandschaft. Klimaschutz braucht guten und kritischen Journalismus.

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