Die Energiewende ist gescheitert. Das erzählt der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) seit mindestens einem Jahr. Auf sein Bundesland bezogen stimmt das aber nur zum Teil.
Bei den erneuerbaren Energien erscheint Sachsen wie ein kleines Bayern. Stark bei der Photovoltaik – mehr als 20 Megawatt kommen im ostdeutschen Freistaat pro Woche hinzu. Gut aufgestellt auch beim Biogas – da gibt es jedes Jahr einen Zuwachs im einstelligen Megawattbereich, zeigt das "Klimadashboard" des Sächsischen Landesverbandes für Erneuerbare Energien.
Dagegen stagniert die Windkraft in Sachsen schon seit fünf, sechs Jahren. Im ersten Halbjahr 2024 ging die installierte Leistung sogar leicht zurück. Viele Windanlagen sind in die Jahre gekommen, verlieren den EEG-Zuschuss, und der Neubau reicht nicht, um die Stilllegungen auszugleichen.
An der sächsischen Stromerzeugung haben Erneuerbare erst einen Anteil von 26 Prozent, das ist die Hälfte des bundesdeutschen Schnitts.
Sachsens Stromsystem auch nach 2030 fossil geprägt
Der geringe Anteil ist wenig verwunderlich. In Sachsen laufen mit Boxberg und Lippendorf zwei große Braunkohlekraftwerke – und sollen das nach dem Willen der Staatsregierung mindestens noch bis Mitte der 2030er Jahre tun.
Dem Ziel der Bundesregierung, das Stromsystem 2035 allein aus erneuerbaren Quellen zu speisen, wollte oder konnte sich die sächsische Regierungskoalition aus CDU, SPD und Grünen nicht anschließen. Läuft es nach der Landtagswahl am 1. September weiter wie bisher, wird sich in Sachsen der Anteil erneuerbaren Stroms erst nach 2030 der 40-Prozent-Marke nähern, folgt man einschlägigen Prognosen.
Damit hat der Ministerpräsident offenbar kein Problem. Kretschmers Rede von der gescheiterten Energiewende ziele denn auch auf die Bundes- und EU-Ebene, erklärte Felix Ekardt, Vorsitzender des BUND Sachsen, kürzlich bei einem Medientermin.
Ekardt gehört seit Jahren zu denen, die Bundesregierungen ein ums andere Mal wegen unzureichendem Klimaschutz vor Gericht verklagen, gerade erst wieder im Juni.
Für den Juristen und Soziologen darf die Energiewende auch in Sachsen nicht scheitern, schon weil sich das Land damit von rechtlich bindenden Klimapflichten verabschieden würde. "Auch Sachsen muss sich an das Bundes-Klimaschutzgesetz halten", insistierte Ekardt.
Umweltverbände: Sachsen darf kein Bremser mehr sein
"Die Aufgabe der Landesregierung ist hier nicht, zu bremsen, sondern, mehr Geschwindigkeit zu verlangen", betonte er. Darauf sei das geltende Energie- und Klimaprogramm des Landes aber nicht ausgelegt. Darin werde nur Kleinteiliges geboten, kritisierte der BUND-Landeschef.
Immerhin zwei positive Energiewende-Entwicklungen sieht Ekardt im Lande: zum einen den extrem guten Ausbau der sogenannten Balkonkraftwerke, der aber kein Verdienst der Landesregierung sei. Zum anderen sei die vom Land angestrebte lokale finanzielle Beteiligung an Erneuerbaren-Anlagen geeignet, deren Akzeptanz zu erhöhen.
Andere Punkte sieht der Umweltverbandschef aber vernachlässigt, etwa Energieeinsparung und Suffizienz. Die Lösung bestehe nicht immer nur darin, mehr Anlagen zu errichten, sagte Ekardt.
Bei der Windenergie spricht sich der sächsische BUND für verstärktes Repowering aus, also den Ersatz alter Windräder durch leistungsstarke Anlagen am selben Ort. Windkraft im Wald lehnt der Verband nicht grundsätzlich ab, sofern andere Flächen nicht verfügbar sind.
Der Nabu Sachsen, der zweite große Umweltverband im Land, ist gegen Windenergie im Wald, wie dessen Landesvorsitzende Maria Vlaic im selben Mediengespräch klarstellte. Letztlich stellt sich diese Frage in Sachsen aber nicht so oft. Nur etwa 30 von 900 Windrädern im Land drehen sich in Wäldern und Forsten.
Sorgen um Blockaden durch AfD und BSW
Die größten Sorgen bereitet den Umweltverbänden die künftige Landespolitik nach der Wahl. Das Land stehe derzeit an der Grenze zu einer "Blockademehrheit rechts- und linkspopulistischer Kräfte", warnte Felix Ekardt.
Während die AfD den Klimawandel schon an sich infrage stelle, leugne das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) diesen zwar nicht, wolle das Klimaproblem aber auf irgendeine mysteriöse Weise technisch lösen, kritisierte der BUND-Landeschef. Dazu komme: Das BSW fordere zusammen mit der AfD die Wiederaufnahme der fossilen Importe aus Russland. "Die fossile Diskussion in Sachsen wird sehr kontrovers bleiben", sagte Ekardt voraus.
Allerdings spielen Energiewende und Klimawandel bei Wahlen in den ostdeutschen Bundesländern nicht mehr die gleiche Rolle wie früher. Das legt eine kürzlich veröffentlichte Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW Berlin nahe. In Sachsen und Thüringen wurde untersucht, welche regionalen Strukturmerkmale mit den Erfolgen von AfD und BSW bei der diesjährigen Europawahl zusammenhingen.
Demnach erzielten die in Teilen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD sowie das neu gegründete BSW hohe Zustimmungswerte vor allem in Landkreisen mit stark überalterter Bevölkerung und niedrigem Bildungsniveau.
DIW-Studie: Keine einfache Erklärung für Erfolg der Populisten
So gegensätzlich sich AfD und BSW geben, so einig seien sich beide Parteien, schreiben die DIW-Forscher, wenn es um zwei zentrale politische Fragen der letzten Jahre geht: die Waffenlieferungen an die Ukraine und den Umgang mit Migration.
Weiter heben die Forscher die Erkenntnis hervor, dass es keine einfache Erklärung für den Erfolg der populistischen Parteien gebe. Jenseits der Zahl der Eingewanderten seien es vor allem unterschiedliche negative Ausprägungen ökonomischer, struktureller und demografischer Faktoren, die für den Ausgang der Europawahl eine Rolle spielten.
Die DIW-Forscher halten deswegen Zukunftsinvestitionen für notwendig, die die wirtschaftliche Lage strukturschwacher Regionen verbessern.
In manchen Regionen gehe es dabei um mehr Aus- und Weiterbildung für von Arbeitsplatzverlust bedrohte Beschäftigte sowie Ausbildungsplätze für junge Arbeitslose. In anderen strukturschwachen und demografisch schnell alternden Regionen werde der Wiederaufbau der öffentlichen Grundversorgung notwendig sein, die in der Vergangenheit wegen der Abwanderung jüngerer Menschen eher abgebaut worden sei, so die Wirtschaftsforscher.
Nabu: Krisen nicht gegeneinander ausspielen
Ob zum Beispiel die Photovoltaik in Sachsen schon als eine Art Zukunftsinvestition betrachtet wird, dazu lassen sich keine Studien finden. Der Ausbau der Erneuerbaren sei kein Alleinstellungsthema mehr, werde in den Regionen aber wichtig bleiben, ist sich Maria Vlaic sicher. "Wir müssen aufpassen, dass wir die Krisen nicht gegeneinander ausspielen. Wir können die Dinge zusammen schaffen", betonte die Nabu-Landeschefin in dem Zusammenhang.
Besonders wichtig ist dem Umweltverband, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien naturverträglich erfolgt. "Das regelt nicht der Markt, da braucht es Regularien, für die wir uns einsetzen", erklärte Vlaic. So fordert der Nabu Sachsen eine Solarpflicht auf Dächern.
Für Photovoltaik im Offenland, wozu auch Agrarflächen gehören, soll nach dem Willen des Nabu eine vorherige Prüfung bereits versiegelter Flächen vorgeschrieben werden. Große Solar-Freiflächenanlagen sollen dann zuerst auf solchen Flächen errichtet werden.