Klimareporter°: Herr van Aken, Sie haben in den letzten Wochen viele Haustürgespräche geführt. Ist die Klimakrise eine Sorge, die die Bürger:innen beschäftigt?
Jan van Aken: Die Klimakrise war eher unter ferner liefen. Am häufigsten ging es um die Miete, dann um gestiegene Preise, auch Energiepreise, und als Drittes: "Die da oben machen sowieso, was sie wollen."
Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz zwischen einer eskalierenden Klimakrise und einer Öffentlichkeit und einem Wahlkampf, der dieser Krise kaum Beachtung schenkt?
Mit dem Desaster um das Heizungsgesetz wurde viel gesellschaftliche Unterstützung für Klimaschutz verspielt. Vor drei Jahren sah das alles noch ganz anders aus. Damals gab es eine wirkliche Mehrheit für Klimaschutz.
Das liegt natürlich nicht an dem Gesetz allein, sondern auch an Bild und Co, die die Gelegenheit genutzt haben, um volle Breitseite gegen Klimamaßnahmen zu geben. Das hat verfangen.
Bei den Menschen blieb hängen: Klimaschutz führt zu hohen Preisen. Und bei Politiker:innen: Wenn wir Klimaschutz oder gar die Wärmewende ansprechen, gibt es in der nächsten Umfrage gleich ein paar Prozentpunkte weniger.
Die Linke scheint sich diese Lehre ebenfalls zu Herzen genommen zu haben. Als Sie das Wahlprogramm vor einigen Tagen auf dem Parteitag vorstellten, sprachen Sie über den Mietendeckel, zu hohe Preise, den Kampf gegen Milliardenvermögen, aber nicht über die Klimakrise.
Das stimmt eigentlich nicht – da habe ich sehr wohl über das Heizungsgesetz gesprochen und darüber, wie es sozial funktionieren könnte. Aber Sie haben natürlich einen Punkt. Ich habe die Kampagnenarbeit bei Greenpeace gelernt und dort heißt es: Fokus, Fokus, Fokus.
Ich sage jeden Morgen vorm Spiegel dreimal Mietendeckel. Ines Schwerdtner und ich haben uns, nachdem wir im Oktober zum Parteivorstand gewählt wurden, darauf geeinigt, den Fokus ganz auf Preise und Mieten zu legen. Das sind gerade die größten Alltagssorgen der Menschen.
Wir haben ein sehr starkes Klima-Programm, und wenn ich für eine Rede mehr Zeit habe, spreche ich auch über das Klima, über Rassismus und Frieden. Aber der Schwerpunkt unserer Wahlkampagne liegt woanders.
Bevor wir auf das Programm blicken: Die Linke hat sich stark verändert. 2023 ist der Wagenknecht-Flügel ausgetreten und hat mit dem BSW eine neue Partei gegründet. Als Folge gab es eine Welle von Neueintritten bei der Linken, auch aus der Klimabewegung. Wie hat das Ihre Partei verändert?
Als ich vor drei Jahren aus dem Parteivorstand rausgegangen bin, wurden bei uns noch ganz andere Debatten geführt. Ich wage zu behaupten, dass die Bekämpfung der Klimakrise ein Pfeiler unserer politischen DNA ist. Das war damals umstritten.
Für viele in Partei und Vorstand war die Klimakrise schon immer ein zentrales Thema. Aber andere Mitglieder haben das Problem aus taktischen Gründen oder aus Überzeugung geleugnet. Das hat sich jetzt grundlegend verändert. Die sind weg.
Ist das Bündnis Sahra Wagenknecht eine klimawadelleugnerische, eine wissenschaftsleugnerische Partei?
Das ist mir zu sehr Holzhammer. Ich glaube, dass es beim BSW ein taktisches Element war und ist.
Sahra Wagenknecht hat sich immer gegen ein Ende des Verbrenners ausgesprochen. Ihr Argument: Sonst erreichen wir die Arbeiter:innen, die weiter Verbrenner fahren wollen, nicht.
Und ich sage: Ja, die müssen wir gewinnen, aber mit den richtigen Inhalten. Statt wissenschaftsleugnerisch würde ich sagen, das BSW ist in seinen Inhalten nicht wissenschaftlich fundiert.
In Ihrem Programm kritisieren Sie die Klimapolitik der Ampel als neoliberal. Wie sieht der linke Gegenentwurf aus?
Wir wollen Klimaschutz gerecht und sozial denken. Dafür wollen wir langfristig weg vom CO2-Preis und stattdessen Klimaschutz über Ordnungsrecht regeln.
Solange es aber eine CO2-Bepreisung gibt, muss diese sozial ausgeglichen werden. Für 2025 wollen wir ein Klimageld von 320 Euro pro Person.
Jan van Aken
ist promovierter Biologe und arbeitete als Gentechnik- und Biowaffenexperte für Greenpeace und die Vereinten Nationen. Seit Herbst 2024 ist er zusammen mit Ines Schwerdtner Vorsitzender der Partei Die Linke. Zusammen mit Heidi Reichinnek ist van Aken Spitzenkandidat für die Bundestagswahl am 23. Februar.
Marktinstrumente verfehlen oft ihr Ziel und sind ungerecht, etwa im Wärmebereich. Mieter:innen können ihre Heizungen nicht wechseln, daran ändert auch ein CO2-Preis nichts. Ich fand die erste Fassung des Heizungsgesetzes deshalb im Kern gut. Das waren scharfe ordnungsrechtliche Vorgaben.
Dann hat die FDP jede Menge Ausnahmen reingeschrieben. Als ich das mit der Wasserstoff-ready-Gasheizung gelesen habe, musste ich mich fast totlachen. Da wird auf klassische fossile Anlagen Wasserstoff-ready draufgeschrieben und plötzlich gelten sie als erneuerbare Heizungen. Völlig absurd.
Aber auch die erste Fassung hatte das Problem: Die Grünen können nicht sozial denken. Die Politik darf nicht einfach sagen: "Wenn deine Heizungsanlage kaputtgeht, musst du dir eine dreimal so teure Anlage kaufen."
Der Grundgedanke des Heizungsgesetzes ist richtig, aber ohne die schlimmen FDP-Ausnahmen und mit sozial gestaffelter Förderung.
Können Sie konkretisieren, was Sie mit sozial gestaffelt meinen?
Die Höhe der Förderung zum Beispiel für eine Wärmepumpe muss sich nach dem Einkommen richten. Menschen mit sehr niedrigem Einkommen bekommen eine hundertprozentige Förderung für die Zusatzkosten, Menschen mit besonders hohen Einkommen gar keine.
Teile der Klimagerechtigkeitsbewegung mahnen: Die Klimakrise sei kein naturwissenschaftliches, technisches Problem, sondern eine soziale und wirtschaftliche Krise, eine Krise des Systems. Stimmen Sie zu?
Ich finde den Spruch "System Change not Climate Change" immer noch richtig gut. Wir greifen das auf, indem wir fragen: Wer soll für die sozial-ökologische Transformation zahlen und wer davon profitieren?
Wir wollen den Kommunen die Mittel geben, um den Ausbau der Erneuerbaren selbstständig voranzutreiben – etwa mit einem 25.000-Euro-Bonus pro Megawatt gebauter Windkraft.
Wir wollen den Ausbau der Erneuerbaren nicht der kapitalistischen Marktlogik überlassen. Wir wollen ihn genossenschaftlich, gemeinnützig und kommunal gestalten.
Ein Energiesystem in Bürger:innenhand wäre doch schon mal ein Anfang für System Change.
Energiekonzerne sollen laut Ihrem Programm entmachtet werden, das Strom- und Wärmenetz soll von der öffentlichen Hand übernommen, die Bahninfrastruktur ausgebaut und gleichzeitig das Neun-Euro-Ticket erhalten werden. Die obligatorische Frage: Wie soll das alles bezahlt werden?
Nur mal vorweg: Viele dieser Vorschläge sind natürlich auch ganz unabhängig vom Klima sinnvoll. Wir sind die Partei des demokratischen Sozialismus und wollen unser System gemeinwohlorientierter gestalten.
Zu der Kostenfrage: Viele der von uns vorgeschlagenen Maßnahmen wären kostenneutral. Für eine sozial gerechte Heizungswende braucht es zum Beispiel gar nicht mehr Geld, sondern die Förderungen müssten nur sozial gestaffelt werden.
Dasselbe gilt für den Strompreis. Wir wollen billige Sockeltarife, aber alles darüber wird dann teuer. Damit entlasten wir die Einkommensschwächeren und schaffen einen Anreiz zum Stromsparen.
Die Übernahme der Energieversorgung und der Netze sowie die Unterstützung der Kommunen beim Ausbau der Erneuerbaren werden aber nicht kostenneutral funktionieren, auch nicht der Umbau der Industrie.
Ich war kürzlich in einem Stahlwerk in Salzgitter. Das ganze Werk wird nun klimaneutral. Dafür werden neue Öfen gebraucht und das kostet eine Milliarde Euro.
Natürlich muss der Staat so was bezuschussen. Für eine sozial-ökologische Transformation müssen wir Geld in die Hand nehmen.
Zentrale Bausteine der Finanzierung sind eine Vermögenssteuer und auch eine Vermögensabgabe. Das Grundgesetz sieht eine einmalige Vermögensabgabe für Zeiten großer Krisen vor. Meines Erachtens befinden wir uns in einer solchen.
Die Abgabe kann auf 20 Jahre gestreckt werden und würde mindestens 310 Milliarden Euro für die sozial-ökologische Transformation bringen.
"Die Reichen bezahlen die Krise" – das klingt erstmal bestechend. Aber erhält in einem neoliberalen System nicht auch das neoliberale Gegenargument Gewicht: Alle Maßnahmen, die Kosten für Unternehmen und Unternehmer:innen in die Höhe treiben, riskieren die Abwanderung von Unternehmen – und damit Stellenkürzungen und den ganzen Rattenschwanz?
Es gibt eine wunderbare Studie von dem Netzwerk Steuergerechtigkeit, die ganz klar zeigt: Die Sorge vor einer großen Abwanderungswelle ist unbegründet.
Ich mache mir da also keine großen Sorgen. Das letzte Mal, als eine Vermögensabgabe eingeführt wurde, folgte das deutsche Wirtschaftswunder. Bis 1997 gab es eine Vermögenssteuer und auch damals sind nicht alle abgewandert.
Und sehr wichtig: Ganz so einfach geht das auch nicht. Wer Anteile an einer Kapitalgesellschaft hält, muss beim Wegzug 50 Prozent seines Vermögens abgeben. Seit den 1970ern gibt es diese Abgabe, auch Wegzugsteuer genannt.
Schon als die Linke den Mindestlohn gefordert hat, hieß es, alle Friseursalons werden pleitegehen. Die Wirtschaft wird zugrunde gehen. Dann kam der Mindestlohn und nichts ist passiert.
Das ist reine Panikmache. Auf die darf man nicht reinfallen.
Bei der letzten Wahl 2021 forderte Ihre Partei noch Klimaneutralität bis 2035, mittlerweile nur noch bis 2040. Die Linke ist damit zwar immer noch am ambitioniertesten, aber hat sich die Lage tatsächlich entspannt? Was ist passiert?
Nichts. Das ist das Problem. Die letzten dreieinhalb Jahre ist klimapolitisch nichts passiert. Deshalb, sagen mir unsere Klimaexperten, wäre es unrealistisch und unehrlich, an dem Zieldatum 2035 festzuhalten. Das ist nicht mehr zu schaffen.
Die FDP will das Klimaziel nun sogar um fünf Jahre nach hinten auf 2050 verschieben und damit an das EU-Ziel angleichen. "Nationale Sonderziele" hätten wegen des europäischen Zertifikatehandels keinen zusätzlichen Klimanutzen, so die FDP-Argumentation. Was entgegnen Sie?
Die können nur in Konkurrenz und Ellenbogen denken. "Warum soll ich was machen, wenn es die anderen nicht machen?" Das steckt dahinter.
Genau diese Logik ist auch das Problem der Weltklimakonferenzen. Man kann immer auf andere zeigen, ob China oder ein anderes EU-Land, aber das bringt niemanden weiter.
Deutschland hat den größten historischen CO2-Fußabdruck aller EU-Länder und einen der größten weltweit. Natürlich hat Deutschland damit eine besondere Verantwortung.
Und ganz unabhängig davon: Wir sind die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Wenn wir die Fähigkeiten haben, schneller zu reduzieren, dann müssen wir das machen.
Andere Länder haben diese Möglichkeit vielleicht nicht und brauchen ein paar Jahre länger. Es ist immer dieselbe Logik. Die Verantwortung nur möglichst weit wegschieben. Das funktioniert so aber nicht.
Apropos Verantwortung: Sie wollen für die einzelnen Sektoren wieder verbindliche Reduktionsziele einführen. Die Ampelparteien hatten ebendiese gestrichen. Ist es dem Klima nicht egal, welche Sektor wie viel einspart, solange am Ende die Gesamtziele erreicht werden?
Da setzt sich ein autogeiler Verkehrsminister hin und sagt: "Och, so gut, wie das mit den Erneuerbaren läuft, da muss ich gar nichts tun."
Das ist falsch gedacht. In jedem Bereich, egal wie groß oder klein, müssen wir an die Emissionen ran. Deswegen trete ich auch schon lange dafür ein, dass die Bundeswehr einbezogen wird.
Du kannst nicht das Verbrenner-Aus nach hinten verschieben, weil jetzt mehr Windräder gebaut werden als gedacht. Diese Logik wird uns auf die Füße fallen.
Was meinen Sie damit?
In absehbarer Zeit wird die Energiewirtschaft nicht mehr alle anderen Sektoren mittragen können. Wenn in den anderen Sektoren, wie etwa beim Verkehr, in der Zwischenzeit Stillstand war, was passiert dann?
Ausnahmen und Sonderregelungen werden die Antworten sein. Nichts anderes ist die Aufhebung der Sektorziele. Nachdem Gebäude- und Verkehrssektor immer wieder ihre Ziele verfehlt haben, wurden die Ziele schlicht abgeschafft. Und nach diesem Schema geht es dann weiter.
Bei den anstehenden Bundestagswahlen droht ein Rechtsruck. Viele Wähler:innen überlegen deshalb, strategisch zu wählen, um das Schlimmste zu verhindern. Warum lohnt sich eine Stimme für die Linke, die es nur mit viel Optimismus über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen wird?
Also erstmal: Wir kommen in den Bundestag. Das Wähler:innenpotenzial ist da, die letzten Umfragen zeigen das und wir sind ja auch über die Direktmandate abgesichert.
Und dann gilt: Ohne die Linksfraktion im Bundestag wird es weiter keinen ernstzunehmenden Klimaschutz geben. Wenn wir keinen Druck machen, werden die Grünen und die SPD gegen die Union gar nichts durchsetzen.
100 Konzerne sind für mindestens 70 Prozent der weltweiten Klimaemissionen verantwortlich. Und das reichste Prozent der Bevölkerung in Deutschland stößt 35‑mal so viel CO2 aus wie die Ärmsten. Jeder von denen hat schon nach zehn Tagen sein Jahres-Treibhausbudget überschritten.
Klimaschutz geht nur, wenn man sich mit den Reichsten anlegt. Und das macht nur die Linke.
Und ich bin da ganz optimistisch. Als Oppositionskraft haben wir den Mindestlohn durchgesetzt. Man kann nicht nur von der Regierungsbank Politik machen. Es ist das altbewährte Prinzip, je stärker der linke Rand, desto stärker die Verhandlungsposition der Mitte-Links-Parteien gegen die Union.
Sie haben in den letzten Wochen immer wieder betont, dass der Einzug der Linken in den Bundestag über die Direktmandate gesichert sei. Wenn Sie allerdings die Fünf-Prozent-Hürde nicht nehmen, wären Sie nur eine politische Gruppe und keine Fraktion. Ein großer Unterschied?
Um eine Fraktion zu bilden, braucht man fünf Prozent der Sitze im Parlament. Da einige Stimmen auf Kleinstparteien fallen, die nicht reinkommen, reichen am Ende meist sogar 4,5 Prozent der Stimmen für eine Fraktion.
Und das macht auf jeden Fall einen großen Unterschied. Man hat als politische Gruppe weniger Fragerechte, darf bestimmte Anträge nicht mehr stellen und so weiter. Wir haben in den letzten Legislaturperioden unzählige Anträge gestellt, Rüstungsexportskandale und soziale Skandale aufgedeckt.
Als Fraktion kommt man an viel mehr Informationen ran. TTIP ist so ein Beispiel.
Das macht natürlich was mit einer Regierung, wenn sie weiß, da gibt es eine Opposition, die ihre Kontrollfunktion wirklich ausübt. Dann können die da oben nicht ganz freidrehen.
Vor einigen Tagen haben Sie in einem Interview mit dem Spiegel eingeräumt, geheime Verhandlungsdokumente über das Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA geleakt zu haben. Was waren bisher die Reaktionen?
Es gab Zuspruch. Auch von außerhalb des klassischen linken Milieus. Große Kritik ist bisher ausgeblieben. Das hat mich auch überrascht.
Die strafrechtliche Relevanz ist nicht mehr gegeben, da die Sache verjährt ist, aber was hätte Ihnen denn gedroht?
Schwer zu sagen. Geheimnisverrat kann ein paar Jahre Knast bedeuten. Aber die Informationen galten nicht als Geheimnis, sondern hatten den niedrigsten Geheimhaltungsgrad. Das nennt sich dann Verschlusssache, nur für den Dienstgebrauch.
Da hätte ich vielleicht noch argumentieren können, dass das als Bundestagsabgeordneter mein Dienst am Volke war. Wäre interessant gewesen, ob Richter:innen sich darauf eingelassen hätten.