Grevenbroich
Kohlekraftwerke, hier im rheinischen Grevenbroich: 40 Milliarden Euro Strukturhilfen sollen fließen, damit der Ausstieg gelingt. Die Wirtschaft sollte sich auch finanziell beteiligen, sagt Mojib Latif. (Foto: Benita Welter/​Pixabay)

Klimareporter°: Herr Latif, wie bewerten Sie die jetzt vorliegende Blaupause für den Kohleausstieg bis 2038? Werden so die Klimaziele erreicht?

Mojib Latif: Auf jeden Fall wird es schwer werden, zumal das Erreichen der Klimaziele auch von den anderen Sektoren wie dem Verkehr abhängt – und dort steigen die CO2-Emissionen sogar noch.

Deutschland sendet mit dem relativ späten Ausstiegsdatum ein fatales Signal an andere Kohleländer wie zum Beispiel Polen, das heute fast 80 Prozent seines Stroms mit Kohle erzeugt und für 2040 immer noch einen Anteil von 22 Prozent anvisiert.

Bis 2050 muss die Welt aber praktisch CO2-neutral sein, um die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, wie es das Pariser Klimaabkommen fordert.

Was wäre mit Blick auf Paris in Deutschland nötig gewesen?

Ein Ausstieg bis 2030 ist wünschenswert. Auch im Hinblick auf das deutsche Klimaschutzziel, wonach der CO2-Ausstoß bis zu diesem Jahr um 55 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 sinken soll. Erreicht sind erst knapp 32 Prozent.

Vor 2030 soll der Ausstiegspfad laut dem Plan der Kohlekommission dreimal überprüft werden, mit der Möglichkeit, Kraftwerks-Abschaltungen zu verschieben. Ist das notwendig – oder ein großes Risiko?

Da lässt man sich einige Hintertüren offen. So nimmt man vielen Akteuren den Druck, möglichst schnell die Energiewende voranzutreiben.

Andererseits soll es auch eine Möglichkeit geben, das Ende der Kohle von 2038 auf 2035 vorzuziehen. Positiv?

Das ist ein Feigenblatt, und das würde ohnehin nicht viel für den Klimaschutz bringen.

Porträt von Mojib Latif

Mojib Latif

ist Klimaforscher an der Universität Kiel und am dortigen Helmholtz-Zentrum für Ozean­forschung, außerdem Vorstands­vorsitzender des Deutschen Klima-Konsortiums und Präsident der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome. Er hat Meteorologie und Betriebs­wirtschafts­lehre studiert. (Foto: GEOMAR)

Haben sich die Umweltverbände und Klimaexperten in der Kommission über den Tisch ziehen lassen?

Es handelt sich um einen typischen Kompromiss. Viele Interessen mussten berücksichtigt werden. Klima war nur ein Punkt vor mehreren.

Insofern war die Kommission im Hinblick auf einen ambitionierten Klimaschutz von vornherein zum Scheitern verurteilt. Mehr war in dieser Situation nicht herauszuholen. Aber immerhin, nach Jahren des Stillstands kommt jetzt Bewegung in den Kohleausstieg.

Hätten die Vertreter der Umweltverbände den Kompromiss platzen lassen sollen?

Nein, das wäre das falsche Signal gewesen. Meine Hoffnung ist, dass man die Dynamik beim Zubau der erneuerbaren Energien, beim Netzausbau und bei der Energiespeicherung noch beschleunigen kann. Sodass die CO2-Emissionen dann doch stärker sinken können als jetzt geplant.

Sind die 40 Milliarden Euro an Hilfen, die die Kohleländer in den nächsten zwei Jahrzehnten für den Strukturwandel während des Ausstiegs bekommen sollen, denn angemessen?

Das ist sehr viel Steuergeld. Ich hätte mir gewünscht, dass sich die Wirtschaft finanziell beteiligt. Da ist das letzte Wort aber noch nicht gesprochen. Und das hat der Bundesfinanzminister.

Vorgeschlagen werden für die Noch-Braunkohle-Reviere unter anderem Investitionen in die Infrastruktur oder die Ansiedelung von Behörden. Überzeugt Sie das Wirtschafts- und Job-Tableau?

Nein. Es wäre wichtig, dort eine innovative und damit zukunftsfähige Industrie aufzubauen. Und die braucht Deutschland dringender denn je.

Was muss generell geschehen, damit Deutschland beim Klimaschutz in die Spur kommt?

Unter anderem eine Bepreisung der Energie gemäß dem CO2-Ausstoß, um die wahren Kosten der erzeugten Klimaschäden in den Kosten abzubilden. Das wäre von Vorteil, um die Energiewende generell schneller voranzubringen.

Außerdem muss im Verkehrssektor sehr viel mehr passieren, ebenso in der Landwirtschaft.

Anzeige