Bisher ist der deutsche Klimaschutz eine One-Man-Show der Energiewirtschaft. (Bild: Erich Westendarp/​Pixabay)

Deutschland hat sein Klimaziel für das vergangene Jahr übererfüllt. Das zeigt die am Dienstag veröffentlichte Emissionsbilanz der Denkfabrik Agora Energiewende.

Mit 656 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent sind die Jahresemissionen um 18 Millionen Tonnen oder drei Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken, so der Bericht. Die im Klimaschutzgesetz festgesetzte Zielmarke hat Deutschland damit um 36 Millionen Tonnen unterschritten.

Allerdings zeichnet sich eine Abflachung der Reduktionskurve ab. Letztes Jahr hatte der Thinktank noch eine Einsparung von 73 Millionen Tonnen bilanziert – stolze zehn Prozent im Vergleich zu 2022.

Um das Zwischenziel für 2030 zu erreichen, müssen die Emissionen in den kommenden Jahren zudem wieder deutlich schneller schrumpfen. Um rund 34 Millionen Tonnen CO2 müsste die deutsche Emissionsbilanz jedes kommende Jahr schlanker werden, damit bis dahin das 65‑Prozent-Einsparziel möglich wird.

Das ist leichter gesagt als getan, wie ein Blick auf die einzelnen Sektoren offenlegt. Wie auch die Jahre zuvor ist der Rückgang der Treibhausgasemissionen laut Agora Energiewende beinahe allein dem Energiesektor zu verdanken.

16 Prozent der Kohlekraftwerkskapazität wurden vergangenes Jahr stillgelegt. Dieser Wegfall konnte mit einer Rekorderzeugung erneuerbarer Energien und steigenden Importen – wiederum knapp zur Hälfte aus Erneuerbaren – aufgefangen werden.

Milder Winter und schwächelnde Wirtschaft schönen die Bilanz

Die Ära der Kohle neigt sich, wie der Bericht zeigt, dem Ende zu, zumindest in Deutschland. Die Steinkohleverstromung sank laut der Analyse um nicht weniger als 30 Prozent, die Braunkohleverstromung um acht Prozent. Günstiger Strom aus Erneuerbaren und billige Stromimporte aus dem EU-Ausland verdrängen die Kohlekraft immer stärker aus dem Markt.

Die Erdgasverstromung ist hingegen unverändert geblieben. Unterm Strich schrumpften die Emissionen des Energiesektors um 18 Millionen Tonnen, was 80 Prozent der Gesamtreduktion ausmacht.

Klimabilanz 2024 in Zahlen

Deutschlands Treibhausgasemissionen sind vergangenes Jahr um 18 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent auf 656 Millionen Tonnen gesunken. Seit 1990 sind die Emissionen damit um knapp die Hälfte zurückgegangen.

Die Emissionen der Energiewirtschaft sind um 18 Millionen Tonnen geschrumpft, die des Verkehrs- und Gebäudesektors nur um jeweils zwei Millionen Tonnen. Die Emissionen der Industrie sind um drei Millionen Tonnen angestiegen. Der Treibhausgasausstoß der Landwirtschaft ist unverändert geblieben.

Damit hat die Energiewirtschaft 44 Millionen Tonnen weniger ausgestoßen, als das Emissionsziel im Klimaschutzgesetz für den Sektor vorsieht. Trotz des leichten Anstiegs hat die Industrie ihr Jahresziel um zehn Millionen Tonnen übererfüllt.

Der Gebäudesektor hat die maximal festgelegte Emissionsmenge um neun Millionen Tonnen überschritten und der Verkehr seine Zielmarke um deutliche 19 Millionen Tonnen.

Anzumerken ist, dass Prognosen aus dem vergangenen Jahr die Gesamtemissionen für 2024 deutlich höher eingeschätzt hatten. Expert:innen zufolge hatten die Prognosen die Wirtschaftsflaute nicht vorhergesehen oder unterschätzt.

Das bedeutet auch: Kommt der politisch erhoffte wirtschaftliche Anstieg, steigen voraussichtlich auch die Emissionen wieder an.

Eine erklärungsbedürftige Angabe, wie der Direktor von Agora Energiewende, Simon Müller, bei der Vorstellung der Bilanz einräumt. Schließlich gibt Agora auch den Gesamt-Rückgang mit 18 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent an.

Berechnet man allerdings auch die geringen Einsparungen im Verkehrs- und Gebäudesektor mit ein, kommt man zu einem summierten Rückgang von 22 Millionen Tonnen. Die Industrie-Emissionen stiegen hingeben an, wodurch die Bilanz am Ende einen Netto-Rückgang von 18 Millionen Tonnen ausspuckt.

"Im Stromsektor zeigen die Klimaschutzmaßnahmen der letzten Jahre immer stärker ihre Wirkung", lobte Müller. Die Fortschritte beim Ausbau von Erneuerbaren und beim Netzausbau böten die Möglichkeit für eine erfolgreiche Transformation in allen Sektoren.

Eine Möglichkeit, die allerdings bisher von den sogenannten Nachfragesektoren wie Verkehr, Gebäude und Industrie nicht wahrgenommen wird, wie die Bilanz belegt. Zwar sind seit der Aufweichung des Klimaschutzgesetzes die Sektorenziele nicht mehr verpflichtend, ein Blick darauf lohnt sich aber allemal.

Der Verkehr verfehlte die im Klimagesetz festgeschriebene Zielmarke bisher jedes Jahr, abgesehen von den Corona-Jahren 2020 und 2021. Der Abstand zu den jährlichen Zielen wächst Jahr um Jahr.

Auch der Gebäudesektor verfehlte erneut sein Reduktionsziel. Im Gegensatz zum Verkehrssektor driften hier Realität und Ziel wenigstens nicht immer weiter auseinander, sondern die Lücke bleibt konstant.

Der geringe Rückgang von jeweils zwei Millionen Tonnen CO2 bei Verkehr und Gebäuden geht zudem nicht auf erfolgreiche Dekarbonisierungsstrategien zurück, wie es im Bericht heißt. Vielmehr sei er einem niedrigen Heizbedarf aufgrund von milden Wintertemperaturen und einem Rückgang des Lkw-Verkehrs durch den wirtschaftlichen Abschwung geschuldet.

Von klimapolitischen Erfolgen ist in den Sektoren also keine Rede. Sowohl der Absatz von Wärmepumpen als auch von Elektroautos ist im Vergleich zum Vorjahr rückläufig.

Deutschland verfehlt europäische Vorgaben

Die Industrie hielt trotz eines Anstiegs der Emissionen ihr Sektorziel ein. Bemerkenswert ist dennoch, dass die Emissionen des Sektors gestiegen sind, während die Produktion zurückging. Der Bericht macht dafür einen stärkeren Verbrauch fossiler Brennstoffe durch die energieintensiven Branchen verantwortlich.

"Steigende Industrieemissionen bei stagnierender Wirtschaft zeigen, wie dringend wir strukturelle Klimaschutzmaßnahmen brauchen", sagte Agora-Chef Müller. "Gerade in der Industrie besteht ein enormes Potenzial für den Umstieg von fossilen Energien auf strombasierte Prozesse." Der Mangel an strukturellem Klimaschutz ist laut dem Energiewendeexperten mit der Verunsicherung von Haushalten und Unternehmen und einer dadurch bedingten Zurückhaltung bei Investitionen zu erklären.

Die große Herausforderung der kommenden Legislatur sei deshalb, so Müller, "die Transformationsdynamik aus dem Stromsektor auch in die Nachfragesektoren zu übertragen". Entscheidend dafür seien besonders Maßnahmen, die die soziale Ebene mitdenken.

In den Problemsektoren Gebäude und Verkehr wurden die europäischen Vorgaben, festgelegt in der Lastenteilungsverordnung (Effort Sharing Regulation), um zwölf Millionen Tonnen gerissen, wie die Expert:innen errechneten.

Sollte Deutschland in diesen Sektoren nicht schleunigst aufholen, drohten hohe Strafzahlungen. Zwar kann die Bundesrepublik auch CO2-Emissionsrechte von anderen Ländern erwerben, es ist aber noch völlig unklar, in welchem Umfang diese zur Verfügung stehen werden.

Die Emissionsbilanz von Agora Energiewende bezieht sich zudem ausschließlich auf die territorialen Emissionen Deutschlands, sprich den CO2-Ausstoß auf dem Bundesgebiet. Einbezogen werden weder Importe energieintensiver Produkte noch Methanemissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zum Beispiel von Fracking-Flüssigerdgas aus den USA.