Kuckuck im Flug mit nach oben gerichteten Flügeln, von der Seite aufgenommen.
Der Kuckuck schiebt seine Eier Vögeln anderer Arten unter, die sie dann ausbrüten. (Foto: Bengt Karlsson/​Wikimedia Commons)

Unmittelbar vor Ende der Wahlperiode haben Union und SPD am Donnerstag in einem letzten Kraftakt ein Klima- und Energiepaket beschlossen. Es löst Probleme, die seit Jahren auf eine Lösung warten, doch es weist nicht in die Zukunft. Unterm Strich zeigt die Noch-Regierung mehr denn je, dass sie nicht auf der Höhe der Zeit ist.

Aber der Reihe nach. In drei Gesetzesvorlagen und sieben Anträgen haben die Fachleute von Union und SPD unzählige Rädchen im rostigen Getriebe der Energiewende neu justiert. Diese Fleißarbeit hat sich an verschiedenen Stellen gelohnt. Denn das Paket enthält durchaus Veränderungen, die die Energiewende leichter machen:

  • Die Netzbetreiber müssen künftig hinnehmen, dass die Bundesnetzagentur ihre Kalkulation der Netznutzungsentgelte veröffentlichen wird. Das kann Stromkunden vor überhöhten Netzkosten schützen.

  • Die Stromkennzeichnung wird verbraucherfreundlicher, sie zeigt künftig klarer, welche Unternehmen sich um die Energiewende bemühen und welche sich nur grün tünchen.

  • Das Wasserstoffnetz wird trotz Lobbydrucks zumindest vorerst nicht von den Gaskunden subventioniert, die Kosten müssen die tatsächlichen Nutzer des Wasserstoffs oder auch der Staat übernehmen.

  • Betreiber von Heimspeichern können die Doppelbelastung mit der EEG-Umlage vermeiden, weil sie dafür nicht länger Messdaten vorlegen müssen, über die sie nicht verfügen.

  • Kommunen werden an den Erträgen von neuen Solarparks finanziell beteiligt, was sicher das Interesse steigert, dafür Flächen bereitzustellen.

  • Es wird im kommenden Jahr über 5.000 Megawatt Sonderausschreibungen für Windkraft an Land und Solarenergie geben, zudem werden die Genehmigungsverfahren für das Repowern alter Windparks erleichtert. 

Die viel gescholtene große Koalition hat damit am Ende mehr auf den Weg gebracht, als viele von ihr erwartet haben.

Wieder nur Ziele statt Maßnahmen

Doch darüber wird sich schnell Staub legen. Denn entscheidend bei dem Paket ist, was alles nicht drin ist. Es gibt nämlich eklatante Lücken.

Damit die nicht so sehr auffallen, haben CDU, CSU und SPD zu einem ganz besonderen Trick gegriffen: Sie legen alle unerledigten Probleme wie ein Kuckucksei ins Nest der nächsten Regierung.

Ralf Schmidt-Pleschka
Foto: Lichtblick

Ralf Schmidt-Pleschka

ist Koordinator für Energie­politik beim Hamburger Ökostrom­unternehmen Lichtblick. Davor war der Geograf und Umwelt­politik­experte unter anderem energie­politischer Referent bei den Grünen im Bundestag.

Soll die erledigen, was Union und SPD in acht Jahren Regierungszeit versäumt haben: unser Land fit für den Weg in die Klimaneutralität zu machen.

Das Klimaziel für 2030 zu erhöhen und Klimaneutralität bis 2045 festzulegen ist ja ein hehres Vorhaben. Doch was sind Ziele wert, wenn keine Maßnahmen beschlossen werden, um sie zu erreichen?

Dazu hätte es weit mehr als die oben genannten Rädchen gebraucht. Denn das Klimaziel wird nur erreichbar, wenn zumindest drei Dinge erledigt werden: den Kohleausstieg auf spätestens 2030 vorziehen, den CO2-Preis rasch auf ein Niveau von mindestens 60 Euro pro Tonne bringen und den Ausbau von Wind- und Solarenergie sehr schnell auf bislang unerreichte Höhen treiben.

Gemessen an dieser Aufgabe ist die Bilanz der großen Koalition ein Desaster.

Der Preis der Wahrheit

In kaum einer klimapolitischen Rede fehlt das Bekenntnis, dass der CO2-Preis künftig Antreiber für Innovation und Klimaschutz sein wird. Dafür müssten sich die Folgekosten der Treibhausgasemission allerdings adäquat im Preis widerspiegeln.

Kurzum: Die CO2-Preise müssten deutlich schneller klettern als bislang geplant. Wenn die Preise schon nicht die Wahrheit sagen, dann sollten die Verantwortlichen zumindest bei der Wahrheit über die Preise bleiben.

Aber das möchte die Koalition nicht. Also packt sie das Thema als ungelöstes Problem ins Kuckucksei und schiebt es den politischen Wettbewerbern unter.

In eben diesem Ei liegt bereits seit Längerem die offene Frage, wie das im neuen Klimagesetz verankerte CO2-Ziel der Energiewirtschaft für 2030 erreicht werden soll. Diese darf statt der bisher geplanten gut 180 Millionen Tonnen CO2 dann nur noch 108 Millionen Tonnen ausstoßen.

Laut Kohleausstiegsgesetz soll dann aber immer noch die Hälfte der Kohlekraftwerke am Netz sein. Das passt nicht zusammen, aber darüber möchte die große Koalition nicht reden.

Letzte Chance vertan

Bleibt das Ausbautempo bei den erneuerbaren Energien. Hier trägt vor allem die Union die Schuld dafür, dass es zu keiner ernsthaften Erhöhung der Ziele gekommen ist. Es lagen Vorschläge auf dem Tisch, jetzt bereits den Turbo beim Ökostromausbau anzuwerfen.

Doch mehr als eine einmalige Sonderausschreibung für das Jahr 2022 war mit der Union nicht zu machen. Damit konterkariert sie nicht nur ihre Klimaversprechen, sondern auch die hochtrabenden Wasserstoffpläne, die ohne rasanten Ausbau der Erneuerbaren ein Wolkenkuckucksheim bleiben.

Tacheles!

In unserer Kolumne "Tacheles!" kommentieren Mitglieder unseres Herausgeberrates in loser Folge aktuelle politische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen.

Im voraussichtlich letzten Energie- und Klimapaket der großen Koalition hat an den entscheidenden Stellen wieder der kleinste gemeinsame Nenner den Stift geführt. Acht Wochen nach dem bahnbrechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz und den vollmundigen Ankündigungen der Koalitionär:innen werden erneut Ziele beschlossen, die andere einmal erreichen sollen.

Das ist ziemlich genau die Sorte Klimapolitik, die das oberste Gericht als "Verletzung der Freiheitsrechte junger Menschen" gebrandmarkt hat.

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