Um die 26 Millionen Tonnen Abfall werden jedes Jahr in Deutschland verbrannt, das allermeiste davon in Müllverbrennungsanlagen. Der Abfall besteht etwa zur Hälfte aus biogenen Stoffen. Die zu verbrennen, gilt immer noch als weitgehend CO2-neutral.

Die andere Hälfte ist größtenteils Plastik, aus fossilen Rohstoffen hergestellt. Das sorgt dafür, dass mit der Abfallverbrennung jedes Jahr gut 24 Millionen Tonnen CO2 entstehen, gut drei Prozent der gesamten CO2-Emissionen Deutschlands.

Klimapolitisch lief das müllbedingte CO2 bisher unterm Radar. Das ändert sich. Seit Anfang 2024 haben Betreiber für jede Tonne CO2 45 Euro Steuer zu zahlen – und für die Branche gilt ebenso: Spätestens 2045 muss auch sie in Deutschland klimaneutral sein.

Auch CO2 aus Müllverbrennung gilt als "unvermeidbar"

Das aber wird vordergründig nicht durch Abfallvermeidung oder die gerühmte Kreislaufwirtschaft erreicht. Im Bereich Abfallverbrennung werden bis 2045 auf CO2-Abscheidung 80 Prozent der Emissionsminderung entfallen, rechnet der Klimareporter° vorliegende Entwurf des Bundeswirtschaftsministeriums für eine Carbon-Management-Strategie (CMS) vor.

Müllanlieferung zur Verbrennung: Unvermeidbar, sagt die Bundesregierung – verhindert Kreislaufwirtschaft, sagen Umweltverbände. (Bild: Vincent Krijtenburg/​Shutterstock)

Entsprechend gehört das CO2 aus der Müllverbrennung für die Regierung zu den sogenannten "unvermeidbaren CO2-Emissionen". Müllverbrennungsanlagen würden so im Jahr 2045 immer noch etwa 15 Millionen Tonnen CO2 emittieren.

Das klimaneutrale Deutschland schafft Abfallverbrennung also nicht ab oder reduziert sie wenigstens weitgehend, sondern die CO2-Emissionen werden nur von derzeit 24 Millionen auf die prognostizierten 15 Millionen Tonnen sinken.

Genau besehen ist das Stück klimapolitisch noch absurder. Denn laut CMS-Entwurf kann auch 2045 technologisch nicht alles Müll-CO2 abgeschieden werden.

Anders als bei Zement und Kalk, ist im Papier zu lesen, kämen bei der Abfallverbrennung wegen verschiedener Restriktionen wie mangelndem Raumangebot und geografischer Verteilung auch nur etwa zwei Drittel der CO2-Menge für CCS infrage. Es wird also Restemissionen geben, die dann zu kompensieren sind.

Diesen Ausgleich hält der Strategieentwurf für möglich, weil im Müll auch künftig biogene Anteile sein werden, die sich als CO2-Senke gegenrechnen lassen. In Deutschland wird also auch nach 2045 immer ein ordentlicher Bioanteil im Müll vorhanden sein müssen, damit die Abfallwirtschaft sich als klimaneutral definieren kann.

Bioanteil im verbrannten Müll wird zum CO2-Kompensieren benötigt

Abgesehen vielleicht von der Abfallbranche wirken die Angaben im CMS-Entwurf recht fragmentarisch. An einer Stelle besagt das Papier, 2045 müssten in Deutschland 34 bis 73 Millionen Tonnen des abgeschiedenen CO2 "geologisch" gespeichert werden – per Carbon Capture and Storage (CCS).

An anderer Stelle heißt es dann, 2045 müssten in Industrie und Abfallwirtschaft etwa 34 Millionen Tonnen schwer vermeidbarer Emissionen abgeschieden werden. Davon wiederum müssten 25 Millionen Tonnen geologisch gespeichert sowie neun Millionen Tonnen – genauer gesagt, der im CO2 enthaltene Kohlenstoff – zur Herstellung von Produkten genutzt werden. Letzteres firmiert unter dem Technologie-Kürzel CCU – Carbon Capture and Utilization.

Woher die Unterschiede bei den Zahlen kommen, ist der Strategie nicht zu entnehmen. Die Landwirtschaft wird mit ihren "nicht vermeidbaren" Emissionen gar nur einmal erwähnt. Für diese ist auch eigentlich das Agrarministerium zuständig. Ob der CMS-Entwurf hier im Zuge der jetzt gestarteten Ressortabstimmung noch ergänzt wird, geht aus den Unterlagen nicht hervor.

Trotz vieler Unklarheiten loben Fachleute, die den Entwurf kennen, dass in der deutschen CCS-Debatte nicht mehr ganz so gigantische Zahlen wie früher diskutiert werden. Inzwischen gehe es offenbar nur noch darum, maximal zehn Prozent der heutigen Emissionen abzuscheiden.

Die Gefahr von Greenwashing bleibt für Fachkundige dennoch akut. Aus ihrer Sicht könnten viele Branchen und Industriezweige dazu neigen, einen zu großen Anteil ihrer Emissionen als "unvermeidbar" zu deklarieren und zu stark auf die vage CCS-Perspektive setzen. Bis etwa 2035 könnte sich die Lage auf diese Weise schönrechnen lassen, bis dann zutage trete, dass die CCS-Versprechen nicht zu halten sind, sagen Fachleute.

Auch Daniel Rieger vom Naturschutzbund Nabu hält das Ziel, 34 Millionen Tonnen CO2 im Jahr 2045 zu speichern, für deutlich zu hoch gegriffen. "Chemie- und Stahlindustrie lügen sich in die Tasche, wenn sie glauben, CCS werde einen derart großen Anteil ihrer Klimaschutzanstrengungen liefern können", erklärt der Nabu-Experte für Klima und Umweltschutz. "Bei CCS und CCU muss es darum gehen, den Einsatz auf Zement, Kalk und eine deutlich zu reduzierende Menge von Abfällen zu beschränken."

CCS für fossile Gaskraftwerke bleibt erlaubt

Eine bestehende Kritik umschifft der Entwurf der Carbon-Management-Strategie weiter elegant. Schon bei der Vorstellung der Strategie-Eckpunkte Ende Februar hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) klargestellt: CO2-Abscheidung aus fossilen Erdgaskraftwerken wird zwar nicht gefördert, aber zugelassen.

Diese Erlaubnis findet sich – ebenso verklausuliert wie in den Eckpunkten – auch im CMS-Entwurf. Dort steht jetzt: Auch wenn "der Einsatz der CO2-Abscheidung für Verstromungsanlagen mit gasförmigen Energieträgern oder Biomasse" möglich bleibe, werde die Anwendung von CCS und CCU bei der Verfeuerung fossiler Energieträger nicht gefördert.

Um den Vorwurf von Erdgas-CCS und einem drohenden fossilen Lock-in zu entkräften, raten Fachleute dazu, der geplanten CMS-Koordinierungsstelle das Recht zu geben, alle CCS-Förderungen daraufhin zu prüfen, ob sie sich auf schwer oder nicht vermeidbare Emissionen beschränken oder eben möglicherweise fossiles CCS subventionieren.

Auch positiv sehen Fachleute am CCS-Entwurf, dass die CO2-Abscheidung mit dem künftigen Bedarf besonders der Chemie nach Kohlenstoff zusammengedacht wird.

Der Hintergrund ist: Klimaneutralität heißt nicht nur, dass am Ende kein CO2 mehr herauskommt, sondern auch, dass am Anfang kein "frisches" fossiles CO2 mehr hineinkommt.

Großer Bedarf an klimaneutralem Kohlenstoff

Klimaverträgliches CO2 ließe sich aus Biomasse oder direkt aus der Luft per Direct Air Capture (DAC) gewinnen – aber auch per CCU. Da wird vom abgeschiedenen Treibhausgas anschließend wieder der Kohlenstoffanteil genutzt.

Gerade der Bedarf der chemischen Industrie nach klimaneutralem Kohlenstoff scheint enorm. Dieser betrage 18 Millionen Tonnen jährlich, davon sei gut die Hälfte zur Herstellung von Kunststoffen nötig, gibt der CMS-Entwurf an und bezieht sich dabei auf Zahlen des Branchenverbandes VCI.

 

Ein Teil des klimaneutralen Kohlenstoffs wird – wie bisher der fossile auch – künftig importiert werden müssen. "Zusätzlich werden größere Mengen CCU im In- und Ausland benötigt, um den stofflichen Kohlenstoffbedarf der Industrie – insbesondere in der Chemieindustrie – zu decken", ist im CMS-Entwurf zu lesen.

Woher dieser klimaneutrale Kohlenstoff kommen soll, wer ihn liefert und wie, dazu findet sich nichts im Strategieentwurf. Versprochen wird zumindest Transparenz über den künftigen Einsatz von CCS und CCU. Dazu sollen ein Fachgremium sowie Arbeitsgruppen geschaffen werden, um "gemeinsam mit Stakeholdern" den CCS- und CCU-Hochlauf zu begleiten und "politischen Handlungsbedarf zu identifizieren".

Fragt sich nur, wer mit den "Stakeholdern" gemeint ist. Übersetzt meint das ja Interessengruppen oder Interessenvertreter.