Matthias Willenbacher
Matthias Willenbacher. (Foto: Wiwin)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.

Klimareporter°: Herr Willenbacher, Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat eingeräumt, dass die Bundesregierung in den letzten Jahren beim Klimaschutz Fehler gemacht und zu spät gehandelt hat. Man habe enormen Nachholbedarf. Was raten Sie dem Minister?

Matthias Willenbacher: Die Argumentation des Ministers ist von hinten bis vorne grotesk. Zunächst stimmt es schlichtweg nicht, dass auf internationaler Ebene nichts erreicht wurde. Das Pariser Klimaschutzabkommen war ein sehr wichtiger Schritt.

Das Problem sind die Nationalstaaten, die die Pariser Ziele nicht ernst nehmen und nicht bereit sind, entsprechende eigene Ziele zu formulieren und Maßnahmen zu ergreifen. In der Front der Klimaschutzverweigerer steht Deutschland leider an vorderster Stelle.

Dafür ist Peter Altmaier persönlich verantwortlich. Denn er hat, erst als Umweltminister, dann als Kanzleramtschef und schließlich als Wirtschafts- und Energieminister, alles dafür getan, dass Deutschland beim Klimaschutz nicht weiterkommt.

Auch seine neuentdeckte Liebe zum Wasserstoff ist das Resultat der intensiven Lobbybemühungen von Unternehmen wie Linde, Siemens oder BMW und nicht Ausdruck eines echten Bekenntnisses zum Klimaschutz.

Was ich ihm raten würde? Nicht den letzten Schritt vor dem ersten tun! Wir werden Wasserstoff brauchen, um klimaneutral zu wirtschaften und zu leben. Aber Wasserstoff wird das letzte Glied sein, der Lückenfüller, den wir brauchen, wenn wir mit der Elektrifizierung von Wärme und Verkehr nicht weiterkommen.

Das wird möglicherweise beim Güterschwerverkehr, in der Luft und auf dem Wasser der Fall sein, möglicherweise auch bei einigen industriellen Anwendungen. Und natürlich wird Wasserstoff oder Methan auch als Langfristspeicher für Strom wichtig sein.

Bevor wir aber über Wasserstoff nachdenken, müssen wir unsere Stromerzeugung auf 100 Prozent erneuerbar umstellen, und der Schwerpunkt sollte auf Windenergie an Land und Solarstrom liegen.

Ich habe hier ja schon mal auf die Energiewende in drei Schritten hingewiesen: drei Windräder pro Gemeinde, ein Prozent der Fläche in Deutschland für Photovoltaik, Speicherung des Überschussstroms vor Ort.

Wenn Altmaier die Energiewende so angeht, tut er sehr viel für den Klimaschutz. Parallel muss er die Elektrifizierung der Wärme- und Verkehrssektors vorantreiben. Erst wenn er mit diesen beiden Ansätzen fertig ist, hat es Sinn, punktuell eine Wasserstoffinfrastruktur aufzubauen.

Fonds und andere Anlageprodukte, die Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien in ihren Anlagebedingungen festschreiben, haben in den vergangenen Jahren erheblich zugelegt. Doch die Kriterien der einzelnen Produkte sind höchst unterschiedlich. Für Privatanleger trotzdem eine gute Idee?

Geld bewegt die Welt – und letztlich natürlich auch den Klimaschutz. Daher ist nachhaltiges Investieren eine Schlüsselaktivität, und zwar nicht nur für die großen Investmenthäuser, sondern natürlich auch für den privaten Kleinanleger. Alle, denen Klimaschutz am Herzen liegt, sollten sich darüber Gedanken machen, wie sie mit ihrem Ersparten einen Beitrag leisten können.

Das fängt mit der richtigen Bank an und hört mit Crowdfunding für Klimaschutzprojekte auf. Aber es stimmt, der Markt ist unübersichtlich, und es sind auch viele Fake-Anbieter oder -Produkte dabei, die reinstes Greenwashing betreiben.

Deshalb hat meine Stiftung die Plattform "Nachhaltig Investieren" ins Leben gerufen. Wir geben hier Anlegern und Anlegerinnen alle Informationen, die sie brauchen, um mit ihrem Geld Nachhaltigkeit nach vorne zu bringen. Auf unserem Youtube-Kanal "Robin TV Grün" findet man außerdem hilfreiche Videos zu dem Thema.

Tatsächlich wird sich aber auch politisch einiges tun. Im Rahmen ihrer Sustainable-Finance-Strategie hat die Europäische Union eine sogenannte Taxonomie beschlossen. Ab 2021 kommt sie zur Anwendung.

Nachhaltige Finanzprodukte müssen dann in mindestens einem von sechs Bereichen – Klimawandelvermeidung, Klimawandelanpassung, Wasserschutz, Kreislaufwirtschaft, Schutz von Luft und Boden, Biodiversität – einen signifikanten Beitrag erbringen, ohne in einem der fünf anderen Bereiche einen Schaden anzurichten. Nur wenn dies nachweislich gelingt, dürfen Produkte "nachhaltig" genannt werden. Andernfalls müssen sie als "nicht-nachhaltig" bezeichnet werden.

Auch wenn man Details dieser Regulierung kritisieren kann und muss, ist der Ansatz doch richtig. Und langfristig wird das für die Verbraucherinnen und Verbraucher die Klarheit bringen, die wir beim Einkauf von Bio-Lebensmitteln mittlerweile zu schätzen wissen.

Der geplante CO2-Grenzsteuerausgleich der EU soll europäische Unternehmen vor Wettbewerbsnachteilen durch strenge Klimavorgaben schützen. Etliche große Wirtschaftsverbände protestieren trotzdem gegen die Idee, obwohl noch nicht klar ist, wie das Instrument konkret ausgestaltet wird. Wieso will die Industrie das partout verhindern?

Weil der Grenzsteuerausgleich auch ihre Produkte treffen würde. Es ist ja schon lange nicht mehr so, dass europäische Unternehmen nur in Europa produzieren. Außerdem gibt es sicherlich auch Unternehmen, die generell Preissteigerungen bei Importen befürchten.

Zugegebenermaßen ist das Thema komplex, auch weil WTO-Recht betroffen ist. Dies ist sicherlich der Grund, warum es seit über 15 Jahren in Europa diskutiert wird, ohne dass je eine ernsthafte politische Initiative zur Umsetzung gestartet wurde.

Die Diskussion über den Grenzsteuerausgleich ist aber eigentlich eine Phantomdiskussion. Denn der Ausgleich ergibt ja überhaupt nur dann Sinn, wenn wir in Europa einen funktionierenden CO2-Preis haben. Davon sind wir aber immer noch weit entfernt.

Trotzdem ist die Idee nicht falsch. Denn ein Grenzsteuerausgleich würde denjenigen, die eine ehrliche CO2-Bepreisung in Europa vermeiden wollen, ein wichtiges Argument aus der Hand nehmen. Deshalb verdienen Kommissionspräsidentin von der Leyen und Handelskommissar Phil Hogan bei dem Vorhaben durchaus Unterstützung.

Gleichzeitig sollte man sich anstrengen, Klima- und Ressourcenschutz in der gesamten Handelspolitik ernst zu nehmen. Man kann in diesem Zusammenhang über die bessere Gestaltung von Handelsabkommen wie Ceta oder dem EU-Mercosur-Abkommen nachdenken. Auch kann man sich eine komplette Reform der WTO-Regeln vornehmen. Das sind allerdings dicke Bretter, und zum großen Wurf wird es wohl nie kommen.

Strategisch klüger wäre es, wenn Europa eine nachhaltige Industriepolitik entwerfen würde, die uns zu einer echten Kreislaufwirtschaft führt. In diesem Zusammenhang sind die Vorschläge des früheren EU-Umweltkommissars Janez Potočnik immer noch aktuell. Potočnik wollte die Besteuerung von Arbeit beenden und stattdessen den Ressourcenverbrauch besteuern. So sollte die Kreislaufwirtschaft vorangebracht werden.

Dies würde das Dilemma, das mit dem Grenzsteuerausgleich nur notdürftig geheilt werden kann, grundsätzlich aufheben und der europäischen Wirtschaft einen strategischen Vorteil verschaffen. Im Konzept "New era. New plan" ist dieser Vorschlag genau ausbuchstabiert worden. Leider erfährt er nicht die politische Aufmerksamkeit, die er verdient hätte.

Zum ersten Mal in der Geschichte ist die weltweite Kohlekraftwerksflotte geschrumpft. Trotzdem gingen im ersten Halbjahr immer noch 18.000 Megawatt Kohlekraft neu ans Netz. Wieso fällt der Menschheit der Kohleausstieg so schwer?

Weil es halt immer schwer ist, alte Zöpfe abzuschneiden. Deutschland ist das beste Lehrbeispiel dafür. Es ist hier gelebte Praxis, dass eifrig zwischen der Kohleindustrie und hochrangige Posten in der Politik hin- und hergewechselt wird.

Man muss dafür gar nicht in die Nullerjahre zurückgehen, wo es die RWE-Affäre um den damaligen CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer gab und der Staatssekretär Alfred Tacke direkt aus dem SPD-geführten Bundeswirtschaftsministerium in den Vorstand der Steag wechselte – eines Unternehmens, das sein Geld mit dem Bau von Kohlekraftwerken verdient.

Tackes Amtskollege Georg Adamowitsch war vor seiner Zeit im Bundeswirtschaftsministerium beim Kohlekraftwerksbetreiber VEW beschäftigt und wechselte vom Ministerium in den Aufsichtsrat der Mitteldeutschen Braunkohlegesellschaft Mibrag. Später tauschte Hildegard Müller ihren Stuhl als Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin gegen die Geschäftsführung beim Energie-Branchenverband BDEW, bevor sie Vorständin von RWE wurde.

Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Es ist doch klar, dass solche Personalrochaden und Abhängigkeiten dazu führen, dass der Kohleausstieg unnötig verzögert wird.

Hinzu kommt die Beteiligung der Ruhrkommunen am Kohlekonzern RWE. Seit über 100 Jahren sind sie an RWE beteiligt, halten immer noch fast ein Viertel der Aktien. Die Stadt Dortmund hat erst vor wenigen Wochen eine Aufstockung der Aktien beschlossen. Dortmunds Oberbürgermeister Ulrich Sierau, ein altgedienter SPD-Politiker, ist im Aufsichtsrat vertreten.

Kein Wunder, dass RWE solche große Unterstützung in der Politik genießt und der Kohleausstieg für die Kraftwerksbetreiber auch noch so versüßt wird, wie es die große Koalition beschlossen hat.

In anderen Ländern ist die Verstrickung zwischen Kohleindustrie und Politik nicht anders, vielerorts sicherlich noch schlimmer. Das Ganze ist skandalös, denn es ist ja offenkundig, wie sehr das Allgemeinwohl hinter den persönlichen Vorteilen zurücksteht.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Zu erfahren, wie schlecht RWE-Chef Martin Schmitz über die Potenziale der Energiewende in Deutschland Bescheid weiß. Schmitz fiel diese Woche auf eine Aktion des Künstlerkollektivs "Peng!" herein und plauderte ungeschminkt aus, was ich schon lange befürchtet hatte: RWE hat an einer Energiewende in Deutschland nach wie vor kein Interesse.

Offenbar, weil das Unternehmen einem fundamentalen Irrtum unterliegt. In Deutschland, so Schmitz halb naiv, halb dreist, gebe es nicht genügend Potenziale. Daher brauche man Flächen im Ausland. Die Künstlerinnen kritisieren diese Haltung zu Recht als neokolonialistisch.

Für mich beweist das wieder einmal: Wenn wir uns auf Unternehmen wie RWE verlassen, kommen wir mit der Energiewende in Deutschland nie voran!

Fragen: Sandra Kirchner

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