Tankstelle bei Nacht
Bei einer CO2-Steuer von 50 Euro würde sich der Liter Benzin um gut zwölf Cent verteuern – für manche Tankstelle sähe es dann vielleicht duster aus, wenn wirklich weniger getankt würde. (Foto: Anna Chapay/​Pixabay)

Die deutsche Klimapolitik gerät mehr und mehr unter Zeitdruck. "2019 entscheidet sich, ob Deutschland die Klimaziele ab 2021 und bis 2030 einhält", erklärte Patrick Graichen, Chef der Denkfabrik Agora Energiewende, am heutigen Montag in Berlin. Ab 2021 müssten die deutschen CO2-Emissionen – auch wegen der verbindlichen und mit Strafen bewehrten EU-Pflichten – jährlich um rund 25 Millionen Tonnen heruntergehen. Das ist Graichen zufolge das Zweieinhalbfache dessen, was bisher pro Jahr erreicht wurde (siehe Grafik unten).

Der wachsende Zeitdruck spiegelt sich auch im zentralen Vorschlag der "Eckpunkte für ein Klimaschutzgesetz" wider, die Graichens Denkfabrik heute gemeinsam mit ihrer Schwester Agora Verkehrswende vorlegte: Ab Oktober 2020 soll ein CO2-Preis auf Heizöl, Erdgas und Kraftstoffe von nicht 20 oder 30 Euro, sondern von 50 Euro pro Tonne erhoben werden. Das würde Benzin um knapp zwölf und Diesel um rund 13 Cent pro Liter verteuern.

Insgesamt kämen Einnahmen von 15,5 Milliarden Euro zusammen, die weitgehend komplett rückverteilt werden sollen: 6,5 Milliarden Euro, um die Stromsteuer um zwei Cent je Kilowattstunde zu senken. Weitere 6,5 Milliarden Euro würden pro Kopf der Bevölkerung als "Klimaprämie" zurückgegeben – an praktisch jeden Einwohner des Landes, wie die Agora-Experten betonten, ob er Steuerzahler ist oder soziale Transfers bezieht. Ausgenommen blieben nur die einkommensstärksten 20 Prozent der Bevölkerung.

Graichen bezifferte die jährliche Rückzahlung für eine vierköpfige Familie entsprechend auf 400 Euro. Dazu käme noch die Ersparnis aus dem Wegfall der Stromsteuer in Höhe von 80 bis 100 Euro. Weil nach den Angaben einige Haushalte – vor allem einkommensschwächere Vielpendler – trotz sinkender Stromsteuer und "Klimaprämie" dennoch belastet würden, plant das Agora-Konzept zudem ein, aus den Einnahmen einen Härtefall-Fonds von 500 Millionen Euro zu speisen.

Nur zwei Milliarden Euro der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung sollen laut dem Agora-Konzept investiv verwendet werden: eine Milliarde für ein "Sofortprogramm E-Mobilität" und eine weitere für ein "Sofortprogramm Ölkesseltausch". Dass nur ein Achtel der Gelder für Öko-Investitionen eingesetzt wird, erklärte Agora-Verkehrswende-Chef Christian Hochfeld mit "pragmatischen Überlegungen". Eine weitgehende Rückgabe sei zwar für die ökologische Lenkungswirkung "nicht ideal", räumte er ein, aber man brauche jetzt Lösungen, die bei der Bevölkerung Akzeptanz fänden.

15 Eckpunkte für das Klimaschutzgesetz

  1. Klimaschutzgesetz als Rahmengesetz verabschieden
  2. CO2-Bepreisung außerhalb des Emissionshandels
  3. Klimarisiken für den Finanzmarkt offenlegen
  4. Erneuerbare-Energien-Gesetz zukunftssicher aufstellen
  5. Kohleausstieg gesetzlich verankern
  6. Sofortprogramm für grüne Fernwärmenetze
  7. ambitionierte Standards für Neubau und Sanierung
  8. energetische Gebäudesanierung steuerlich fördern
  9. Modernisierung der Pkw-Flotte durch Bonus-Malus-Regelung stärken
  10. Lkw-Maut refomieren
  11. Mobilitätswende in Städten fördern
  12. Effizienzinvestitionen in der Industrie fördern
  13. Quote für grünen Wasserstoff
  14. Markteinführung CO2-neutraler Technologien in der Industrie
  15. deutsche EU-Klimainitiativen

Entscheidend beim CO2-Preis – auch für die angestrebten Verhaltensänderungen – sei das Signal, dass die fossilen Energien teurer würden, erklärte Graichen und argumentierte weiter: "Das sozial ungerechteste System ist das, was unseren Kindern und alle folgenden Generationen die Folgen des Klimawandels aufbürdet."

Bonus-Malus-System beim Autokauf

Gerade im Verkehrsbereich reagieren die Agora-Vorschläge auf zuletzt veränderte Bedingungen, vor allem auf die nicht mehr so schnell steigenden Staatseinnahmen. Viele Projekte in den "Eckpunkten" sind deshalb aufkommensneutral kalkuliert, so auch ein Bonus-Malus-System ab 2020 für neu zugelassene Autos.

Autos, die weniger als 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen, könnten dann mit einem Zuschuss rechnen. Autos, die darüber liegen, würden im Kaufpreis verteuert – und aus diesem Aufschlag würde dann die "Verbilligung" emissionsarmer Fahrzeuge bezahlt.

Weil der Bonus beziehungsweise Malus nach Agora-Angaben pro Gramm CO2 bei 50 Euro liegen soll, könnte ein reines Batterie-Elektroauto am Ende mit einem Zuschuss von 5.000 Euro rechnen –  Spritschlucker-Pkw, die mehr als 200 Gramm je Kilometer emittieren, verteuerten sich dagegen um 5.000 Euro.

Hochfeld zeigte sich ganz zuversichtlich, dass sich die Widerstände gerade im Bundesverkehrsministerium gegen einen CO2-Preis überwinden lassen. Denn die AG Klimaschutz in der Verkehrskommission habe es geschafft, dass das Haus Scheuer den Vorschlag der AG übernahm, ein sektorübergreifendes Konzept für eine CO2-Bepreisung als "Prüfauftrag" an die Bundesregierung zu vergeben.

Der Experte ging in dem Zusammenhang hart mit der bundesdeutschen Verkehrspolitik ins Gericht. Die habe nicht nur "klimapolitisch versagt", sondern auch generell bei der Modernisierung des Verkehrssektors. Die Verkehrswende sei inzwischen nicht mehr nur ein Klimaschutzprojekt, sondern es gehe um die Sicherung der Mobilität von morgen. Dies erfordere bis 2030 einen "durchaus dreistelligen Milliardenbetrag", ließ Hochfeld durchblicken.

Für Deutschland kenne sie, sagte Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) übrigens heute zum Auftakt des zweitägigen Petersberger Klimadialogs in Berlin, kein CO2-Preis-Modell ohne Schwachstellen. Von ihrem Haus lasse sie deshalb ein Preiskonzept erstellen, erzählte Schulze bei dem Ministertreffen nicht zum ersten Mal, das drei Anforderungen zu erfüllen habe: Es müsse das Klima schützen, praktisch und "verfassungsfest" umsetzbar sein, und es dürfe kleine und mittlere Einkommen "nicht zusätzlich belasten". Sie habe große Sympathien für ein Modell, bei dem die Einnahmen an die Menschen zurückgezahlt würden.

Diese Bedingung erfüllt das Agora-Modell weitgehend. Dass es Schulzes Sympathie findet, ist dennoch eher unwahrscheinlich.

Ergänzung um 16 Uhr: Wegen der absehbaren Nichterfüllung seiner Klimaziele berücksichtigt Deutschland schon jetzt Strafzahlungen im Bundeshaushalt für 2021, bestätigte Umweltministerin Schulze heute. Patrick Graichen von Agora Energiewende bekräftigte ebenfalls am Montag die bekannte Schätzung seines Thinktanks, laut der Deutschland bis 2030 insgesamt Strafzahlungen von 30 bis 60 Milliarden Euro drohen.

Balkendiagramm: Entwicklung der Treibhausgas-Emissionen in den nicht vom Emissionshandel erfassten Sektoren bis 2030: In den nächsten zehn Jahren muss die Absenkung zweieinhalb mal so stark sein wie zurzeit.
Notwendige Absenkung der Treibhausgas-Emissionen bis 2030 in den nicht vom Emissionshandel erfassten Sektoren ("Nicht-ETS") laut den Agora-Eckpunkten. (Grafik: aus den "Eckpunkten")
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