Wie geht es weiter mit dem Kohleausstieg? Die Frage wird mit jedem Tag spannender. Viele Leute würden viel darauf geben, könnten sie jetzt schon in eine Studie zur Machbarkeit des Kohleausstiegs bis 2030 hineinschauen, an der das Bundeswirtschaftsministerium zusammen mit einschlägigen Instituten seit Monaten arbeitet.

Die Studie sollte schon im August letzten Jahres veröffentlicht werden. Unter den Umständen der Energiekrise habe sich aber eine komplexere Situation ergeben, die die gesetzlich vorgeschriebene Evaluierung aufwendiger und umfangreicher mache, erklärte ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums auf Nachfrage.

Aus diesem Grund nehme die Überprüfung mehr Zeit in Anspruch, sie solle aber so schnell wie möglich abgeschlossen werden, betonte der Sprecher. Ein Termin für die Veröffentlichung könne gleichwohl noch nicht genannt werden.

Nachdem mit dem "RWE-Deal" der Kohleausstieg im Westen erst einmal geregelt ist, wendet sich die Aufmerksamkeit gerade dem größten noch offenen Problem zu: dem Vorziehen des Kohleausstiegs im Lausitzer Revier, dem wichtigeren der beiden Ostreviere.

Dazu legte am Donnerstag die Forschungsgruppe "Fossil Exit" eine neue Studie vor, die sie im Auftrag der Klimabewegung Fridays for Future und des europaweiten Netzwerks Beyond Fossil Fuels erarbeitet hat.

Weniger Kohle zu höheren Preisen verstromen

Die Studie geht erwartungsgemäß konsequent klimapolitisch vor. Will Deutschland seinen global gerechten Beitrag für das 1,5-Grad-Limit aus dem Paris-Vertrag leisten, dürfen ab Anfang 2022 nur noch 3,1 Milliarden Tonnen CO2 emittiert werden, beruft sich die Untersuchung auf Zahlen des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU).

Weiter baut die Studie auf die Empfehlung der Kohlekommission, im Osten einen langsameren Ausstiegspfad vorzusehen, um dort den Strukturwandel stärker abzufedern. Deswegen "reserviert" die Untersuchung 60 Prozent der noch möglichen Braunkohle-Emissionen für die ostdeutschen Reviere. Das sind knapp 300 Millionen Tonnen CO2.

Davon "erhält" das Revier Halle/​Leipzig etwas mehr als 90 Millionen Tonnen und das Lausitzer Revier 205 Millionen Tonnen. Diese Menge könnte, gerechnet ab Anfang 2022, noch gefördert und in der Lausitz größtenteils in den Braunkohleblöcken von Jänschwalde, Boxberg und Schwarze Pumpe verstromt werden.

2022 wurden in der Lausitz bereits rund 49 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert – ginge das so weiter, wäre das 1,5-Grad-kompatible Budget schon in vier Jahren aufgebraucht. Ende 2026 wäre also rechnerisch Schluss mit Kohle.

Das hält die Studie für wenig zielführend. Besser solle eine frühere Drosselung der Kraftwerke angestrebt werden – und zwar ab 2024 um jährlich 25 Prozent der Leistung, erklärte Studienautor Pao‑Yu Oei, Professor an der Uni Flensburg, am Donnerstag in Berlin. So ließen sich Arbeitsplätze erhalten und die Kraftwerke könnten nur dann laufen, wenn sie gebraucht werden, erläuterte der Energieökonom. Da wäre dann auch der zu erzielende Strompreis am höchsten.

Laut der Studie wird Braunkohlestrom spätestens 2030 unwirtschaftlich sein. Erste Probleme bei der Auslastung der Anlagen könnte es 2025 oder 2026 geben, sagte Studienautor Oei. Das hänge aber von einer Vielzahl von Faktoren ab.

Dem Experten ist dabei klar, dass Braunkohlekraftwerke nur begrenzt flexibel gefahren werden können und bei häufigem Hoch- und Herunterfahren sowie teilweise monatelangen Stillständen einen höheren Verschleiß aufweisen. Das hält Oei angesichts der kürzeren Laufzeit für vertretbar.

"Das Klima interessiert sich nicht für Jahreszahlen"

Die Studie der Fossil-Exit-Gruppe geht einen etwas anderen Weg als eine kürzlich vom Beratungsinstitut Energy Brainpool vorlegte Analyse zum "Kohleausstieg Ost". Hier soll die Stromerzeugung am Standort Jänschwalde bereits 2025 enden. Boxberg und Schwarze Pumpe würden dann im Zeitraum 2026/2027 und 2028/2029 stillgelegt.

"Das Klima interessiert sich nicht für Jahreszahlen, sondern für die emittierte Menge CO2", erläuterte Pao-Yu Oei die Situation. "Ein Kohleausstieg bis 2030 wäre zwar ein erster wichtiger Schritt, aber nicht ausreichend, um die bis dahin entstehenden Emissionen auf das verbleibende 1,5-Grad-Budget zu senken."

Für Luisa Neubauer zieht die Studie sogar eine neue "rote Linie". Es reiche nicht, den Kohleausstieg auch im Osten aufs Jahr 2030 vorzuziehen. Die Kraftwerke müssten schon vorher gedrosselt werden, betonte die Sprecherin von Fridays for Future am Donnerstag.

Sie forderte, die Erkenntnisse der Wissenschaft endlich ernst zu nehmen. Das sei gerade in einer Zeit wichtig, wo es das Gefühl gebe, es werde mehr über die Zulässigkeit bestimmter Protestformen debattiert als über die eigentlichen Herausforderungen.

Neubauer kritisierte auch die notorisch kohlefreundliche Politik der Landesregierungen von Brandenburg und Sachsen. "Wenn man Jahre und Jahrzehnte den Menschen mehr Angst vor Windrädern als vor der Klimakrise macht, muss man sich nicht wundern, dass Menschen von Klimaschutz nicht begeistert sind", sagte sie.

Es sei auch höchste Zeit, dass die Bundesregierung endlich einen gesamtdeutschen Pfad für den Kohleausstieg vorlege, forderte die Klimaaktivistin. Dieser Plan müsse die ökologischen Grenzen einhalten, aber auch Vorschläge für Wirtschaftlichkeit und den Strukturwandel vor Ort enthalten.

So gesehen darf man wirklich gespannt sein auf die Machbarkeitsstudie aus dem Wirtschaftsministerium.

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