Blaue Flagge mit dem Logo von
Extinction Rebellion in dieser Woche beim Blockieren einer Kreuzung auf der Oxford Street im Herzen Londons. (Foto: Andy Reeves)

Seit Montag sind zentrale Sehenswürdigkeiten und Verkehrsknotenpunkte in London blockiert. Die noch junge Klimabewegung "Extinction Rebellion" hat Tausende zum zivilen Ungehorsam für den Klimaschutz mobilisiert.

Mehr als 400 Menschen hat die Londoner Polizei mittlerweile wegen der Teilnahme an den Blockaden festgenommen. Im Zuge einer weltweiten Protestwoche ist die Bewegung auch in Deutschland angekommen.

Die Gruppe gilt nicht nur in ihrer Aktionsform als radikal, sie stellt auch hohe Forderungen an die Regierungen der Welt. So lautet eine der drei Kernforderungen, dass die Industrieländer bis 2025 klimaneutral werden.

Kann Deutschland 2025 klimaneutral sein?

Strom, Verkehrswesen, Heizen und Bauen so weit erneuerbar, dass die restlichen Emissionen von Mooren und Bäumen gebunden werden können – kann ein Land wie Deutschland das in sechs Jahren schaffen?

Einziges Schlupfloch: Das Ziel ließe sich auch erreichen, indem Deutschland eine riesige Menge an CO2-Zertifikaten von anderen Ländern kauft, sogenannte Offsets. Damit würde die Bundesrepublik dort Klimaschutz-Projekte finanzieren, deren Effekt sie sich selbst anrechnen dürfte. Der deutsche Erfolg stünde dann aber nur auf dem Papier.

In der Bundespolitik dreht sich die Diskussion um ganz andere Zeiträume: Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) will im geplanten Klimaschutzgesetz festschreiben, dass Deutschland bis 2050 klimaneutral wird und auch dann noch zu einem kleinen Teil auf Offsets zurückgreift. Damit ist sie innerhalb der Bundesregierung bereits eine Vorreiterin. 

Dass das Klimaziel unter heutigen Vorzeichen nicht realistisch erscheint, stört "Extinction Rebellion" nicht. "Wir haben das Ziel danach definiert, was notwendig ist, und nicht danach, was machbar erscheint", sagt Hannah Elshorst von Extinction Rebellion gegenüber Klimareporter°. "Das ist das, was Industrieländer leisten müssen, wenn sie den letzten IPCC-Report ernst nehmen."

Im vergangenen Jahr hatte ein Sonderbericht des Weltklimarats IPCC ergeben, dass die ganze Welt bis zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral sein muss, wenn die globale Erwärmung auf 1,5 Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten begrenzt werden soll – wie es das Pariser Klimaabkommen vorsieht.

Dass die reichen und hauptsächlich verantwortlichen Industriestaaten damit früher fertig werden müssen als die Entwicklungsländer, ist zwar international mehr oder weniger akzeptiert – wie genau die Pflichten verteilt werden sollen, ist aber stark umstritten. Das Paris-Abkommen macht dazu keine Angaben.

Was nötig ist, wird eher machbar

Das New Climate Institute in Köln war in einer Studie kürzlich darauf gekommen, dass die Bundesrepublik 2030 klimaneutral sein muss, wenn sie ihren fairen Anteil zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels sicher beitragen will. Je nachdem, wie man die hohen Emissionen in der Vergangenheit gewichtet, also Deutschlands "historische Schuld" am Klimawandel, könne das Ergebnis aber auch lauten, dass das deutsche Budget an Treibhausgasen jetzt schon aufgebraucht ist.

Studien-Leitautor Niklas Höhne findet die Herangehensweise von Extinction Rebellion legitim. "Sie ermöglicht eine andere Perspektive", sagt der Politikwissenschaftler im Gespräch mit Klimareporter°. "Wir bezeichnen Dinge häufig als 'nicht machbar' – meinen aber eigentlich, dass sie einen größeren Schaden mit sich bringen, als wir ihn für nötig und deshalb gerechtfertigt halten." In diesem Sinne werde das Machbare in manchen Fällen davon beeinflusst, was nötig ist.

Höhne nennt als Beispiel den Kohleausstieg: "Die Hälfte der Kohlekraftwerke sofort abzuschalten, wäre technisch möglich und würde wohl nicht mal zu Einschränkungen beim Konsum führen – aber wir sprechen davon, dass das nicht machbar sei, weil das eben bestimmten Konzernen oder auch Regionen sehr schaden würde."

Ob 2025 als Zielmarke nun realistisch ist oder nicht, ist aus dieser Perspektive nicht wichtig. Man könnte die Forderung von Extinction Rebellion also auch als Aufforderung an die Politik übersetzen, die Lage als Notstand zu sehen, in dem alles Machbare auch wirklich getan wird.

Bürgerversammlung für das Klima

Zwei weitere Kernforderungen nennt Extinction Rebellion: Die Bewegung fordert die Regierungen und Medien dazu auf, die Bürger wahrheitsgemäß über die Auswirkungen der Klimakrise zu informieren. Außerdem will sie, dass Bürgerversammlungen über den Weg zu den Klimazielen entscheiden.

Vorbild könnte dabei Irland sein, wo genau das erst kürzlich passiert ist: 99 per Los ermittelte Bürgerinnen und Bürger wurden damit beauftragt, dem Parlament Empfehlungen zur Lösung mehrerer umstrittener Probleme vorzulegen. Dazu traf sich das Gremium ein Jahr lang monatlich, sprach mit Experten und betroffenen Menschen, diskutierte. Das Referendum, das zur Legalisierung von Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche in Irland geführt hat, war eines der Resultate.

In Bezug auf das Klima haben die irischen Bürger zahlreiche Vorschläge gemacht, die als anspruchsvoll gelten. Darunter war ein hoher CO2-Preis, der für alle Wirtschaftssektoren gilt – sehr zum Ärger der in Irland starken Viehzüchter auch für die Landwirtschaft.

Auf kommunaler Ebene ist das Verfahren auch in Deutschland schon vereinzelt angewendet worden, um zum Beispiel Windkraft-Konflikte zu lösen. Die Erfahrungen waren ebenfalls positiv.

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