Westliche Demokratien sind hauptverantwortlich für die Klimakrise, haben aber auch Lösungen. (Foto: Brian Bukowski/​Flickr)

Je höher der Druck wird, die Erderwärmung auf ein erträgliches Maß zu begrenzen, desto lauter werden Forderungen nach konsequentem Klimaschutz. In demokratischen Gesellschaften fordern manche Gruppen "radikales" Handeln, notfalls ohne Rücksicht auf demokratische Mehrheiten und Gesetzgebungsprozesse.

Rechtswidriges Handeln wird dabei moralisch aufgeladen als Kampf "Gut gegen Böse" gerechtfertigt. Bestärkt fühlen sich diese Gruppen durch die mitunter klimaschutzfeindliche Haltung einzelner demokratischer Regierungen, wie im Falle der USA oder Brasiliens.

Gleichzeitig versuchen autoritäre Staaten, sich als effektive Klimaschützer zu präsentieren. Demokratien stehen somit vor der Herausforderung, unter Beweis zu stellen, dass sie auf der Basis bürgerlicher Freiheiten, politischer Partizipation und eines pluralistischen politischen Wettbewerbs zu nachhaltiger, wirkungsvoller Klimapolitik in der Lage sind.

Es lohnt sich daher, einen genaueren Blick auf die Stichhaltigkeit gängiger Vorwürfe gegenüber demokratischen Systemen in puncto Klimaschutz zu werfen:

Kritikpunkt 1: "Im Gegensatz zu autoritären Regierungen, die Klimaschutz "top-down" verordnen können, schrecken Demokratien vor drastischer Klimaschutzpolitik zurück."

Richtig ist, dass Klimaschutz einen generationenübergreifenden Politikansatz erfordert. In diesem Zusammenhang ist die Auffassung verbreitet, dass Autokratien langfristig stabil sind und daher konsequenten Klimaschutz gewährleisten können.

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Jasper Eitze

Jasper Eitze ist in der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) für Energie und Ressourcen zuständig. Nach einem Studium der Geschichts- und Gesellschafts­wissen­schaft arbeitete er zwei Jahre in den KAS-Auslands­büros in Mexiko und Brasilien. 2011 wechselte er in die Zentrale in Berlin. Berufs­begleitend absolviert er das inter­disziplinäre Weiter­bildungs­studium Umwelt­wissen­schaften an der Fernuni Hagen.

Auf den ersten Blick scheinen autokratische Regierungen tatsächlich im Vorteil, da sie in der Theorie ohne Rücksicht auf Wählerstimmungen Klimaschutz verordnen können. In Demokratien kann Klimapolitik indes in den Hintergrund rücken, wenn sich in der Öffentlichkeit andere Probleme in den Vordergrund drängen.

Es wäre aber voreilig, Demokratien die Fähigkeit zu langfristigem, ambitioniertem Klimaschutz abzusprechen. Ein anderes Bild ergibt sich nämlich, wenn sich der Fokus stärker auf das Potenzial bürgerschaftlichen Engagements und freier Meinungsbildung richtet.

Kritisches Denken und ein hohes Bildungsniveau haben in westlichen Demokratien soziale Bewegungen hervorgebracht, die seit den 1980er Jahren Umwelt- und Klimaschutz einfordern. Das jüngste Beispiel ist die Fridays-for-Future-Initiative, unter deren Eindruck die europäischen Demokratien zuletzt bewiesen haben, dass sie zu ambitionierter Klimapolitik in der Lage sind.

Die neue EU-Kommission hat den European Green Deal angestoßen, der bis 2050 auf ein klimaneutrales Europa abzielt. Diese Zielsetzung hat sich bereits auf den Mehrjährigen Finanzrahmen der EU ausgewirkt. Der Budgetanteil für Klimaschutz wurde von bisher 20 auf nun 30 Prozent erhöht.

Aber auch auf anderen Ebenen ermöglichen Demokratien klimapolitisches Handeln: So wird in den USA – unabhängig von der Trump-Administration – Klimaschutz durch Städte und Bundesstaaten vorangetrieben.

Es wird erwartet, dass sich dadurch bis zum Jahr 2030 die landesweiten Emissionen um 25 Prozent (im Vergleich zu 2005) verringern. Möglich ist dies dank der Gestaltungsmöglichkeiten subnationaler Akteure in den USA – im Gegensatz zu zentralistischen, autokratischen Systemen.

Kritikpunkt 2: "Demokratien sind wegen ihrer auf Konsens ausgerichteten Entscheidungsprozesse ungeeignet für konsequenten Klimaschutz."

Demokratische Entscheidungsfindungen werden häufig als zäh wahrgenommen. Neben der Kompromissfindung in Regierung und Parlament gelten gesetzlich geregelte Beteiligungsverfahren für Interessensgruppen beziehungsweise Klagemöglichkeiten für Betroffene. Diese verlangsamen viele Prozesse, sorgen aber für Legimitation und wirken somit politisch stabilisierend.

Portraitfoto Denis Schrey
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Denis Schrey

leitet den Multi­nationalen Entwicklungs­dialog der Konrad-Adenauer-Stiftung in Brüssel. Das Programm arbeitet zu Klima und Energie, Demokratie und Entwicklung sowie Sicherheit und Multi­lateralismus und vernetzt die Auslands­arbeit der KAS und ihrer Partner mit der EU. Arbeits­schwer­punkt des Volkswirts und Politik­wissen­schaftlers ist die externe Demokratie­förderung der EU.

Allerdings können solche Verzögerungen auch derartige Ausmaße annehmen, dass zur Aufrechterhaltung politischer Handlungsfähigkeit eine Verfahrensbeschleunigung erforderlich wird, wie zum Beispiel im Falle des Windkraftausbaus in Deutschland.

Dennoch bleibt der geregelte Interessensausgleich ein wichtiger Bestandteil von Demokratien. Denn er bietet Bürgern wie Unternehmen Schutz vor rücksichtslosem staatlichem Durchgriff.

Vorbild China?

Insbesondere seitdem die USA ihren Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen verkündeten, hat sich die chinesische Regierung intensiv darum bemüht, das eigene Klimaschutzprofil gerade auch international zu stärken.

Die konkreten Zahlen scheinen dabei zunächst für sich zu sprechen: Kein Land investiert so viel in erneuerbare Energien wie China. 2018 machten sie bereits 38 Prozent der Gesamtkapazität an Elektrizität aus.

Allerdings hat China auch allein im Jahr 2016 so viel Kohle verfeuert wie der Rest der Welt zusammen. Rund die Hälfte der chinesischen Stromerzeugung ist weiterhin kohlebasiert. Und vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise hat die chinesische Regierung jüngst dem Bau zahlreicher neuer Kohlekraftwerke zugestimmt.

Zudem mangelt es an Umweltbewusstsein in der chinesischen Bevölkerung sowie an grundlegenden Umweltrechten in der Verfassung. Gesellschaftliche Beteiligungsverfahren beschränken sich häufig auf Anhörungen und Informationsveranstaltungen lokaler Regierungen.

Und obwohl diverse Umweltskandale dazu geführt haben, dass lokale Regierungen mittlerweile zu Verbesserungen der Umweltqualität angehalten sind, bleibt die tatsächliche Durchsetzung von Umweltstandards schwierig.

Kritikpunkt 3: "Demokratien konnten ihren Wohlstand nur durch hohe CO2-Emissionen erreichen und sind daher für die Klimakrise verantwortlich."

Aus der Entwicklung der CO2-Emissionen seit Beginn der Industrialisierung lässt sich eine historische Verantwortung westlicher Demokratien für den Klimawandel ableiten. Gemeinsam haben sie knapp die Hälfte aller jemals ausgestoßenen CO2-Emissionen verursacht.

Portraitfoto Louis Mourier
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Louis Mourier

ist Programm-Manager für inter­nationale Klima­politik beim Multi­nationalen Entwicklungs­dialog der KAS in Brüssel. Sein Fokus ist die externe Dimension des European Green Deal, besonders multi­laterale Klima­politik und EU-Klima­diplomatie. Mourier war Repräsentant der Zivil­gesellschaft beim Klimagipfel COP 25 in Madrid. Er studierte Inter­nationale Beziehungen an der London School of Economics und VWL an der Uni Lüneburg und war Trainee in der EU-Delegation bei den Vereinten Nationen.

Entsprechend erkennen sie mit der UN-Klimarahmenkonvention die gemeinsame, aber differenzierte Verantwortung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern an und verpflichten sich zu einer klimapolitischen Vorreiterrolle.

Dass westliche Demokratien diese Vorreiterrolle – zumindest teilweise – auch tatsächlich ausfüllen, lässt sich zum einen an ihrer gesteigerten CO2-Produktivität (Wirtschaftsleistung im Verhältnis zum CO2-Ausstoß) und zum anderen an ihrer Unterstützung ärmerer Staaten ablesen.

Unter dem Gesichtspunkt einer verursachungsgerechten Verantwortung ist zudem festzustellen, dass sich die Pro-Kopf-Emissionen autoritär regierter Schwellenländer wie China mittlerweile dem Niveau der westlichen Industriestaaten stark angenähert haben. Daraus ergibt sich eine schnell wachsende Mitverantwortung dieser Länder für den globalen Klimaschutz.

Neben der Verursacherfrage erscheint jedoch genauso wichtig, wo die Quellen konkreter Problemlösungen liegen. In diesem Punkt verfügen Demokratien durch ihre offene Wissenschaft und freien Meinungsaustausch über ein großes Potenzial.

Nicht zufällig wurde das Phänomen des Klimawandels von westlichen Wissenschaftlern entdeckt und durch starke unabhängige Stimmen in politische Debatten eingespeist.

Zudem befördern freiheitlich-demokratische Strukturen besonders stark innovative Ansätze in Richtung nachhaltiger Wirtschafts- und Lebensweisen. So richten sich zum Beispiel westliche Unternehmen mittlerweile vermehrt am Prinzip des Stakeholder-Values aus, also an einer Unternehmensführung, die öffentliche Interessen wie den Klimaschutz berücksichtigt.

Fazit

Der wirtschaftliche und geopolitische Aufstieg autoritärer Schwellenländer umfasst auch die Klimapolitik. Klimaschonende Technologien bieten diesen Ländern politisches Profilierungs- und wirtschaftliches Entwicklungspotenzial im Wettbewerb mit Demokratien.

Die dabei ins Feld geführte Kritik gegenüber Demokratien fußt indes auf einem oberflächlichen Verständnis demokratischer Prozesse.

So können demokratische Beteiligungsverfahren zwar zu klimapolitischen Blockaden führen. Entscheidender für den Klimaschutz sind jedoch das starke gesellschaftliche Problembewusstsein und die Verankerung der Klimapolitik auf verschiedenen politischen Ebenen.

Dagegen stehen Autokratien schnell vor einem Legitimationsproblem, wenn ihr Führungsanspruch vorrangig auf wirtschaftlichen Wachstumsversprechen beruht. Bleibt dieses aus, verschwindet Klimapolitik in Autokratien schnell und umfassend von der politischen Agenda.

Tatsächlich gibt es bislang kein überzeugendes Beispiel dafür, dass Autokratien den besseren Klimaschutz leisten. Denn ohne zivilgesellschaftliche Strukturen, politischen Wettbewerb und freie Medien fehlen wichtige Voraussetzungen, um klimapolitische Defizite offenzulegen und politisches Handeln einzufordern.

Letztlich geht der Klimawandel zwar maßgeblich auf die Industrialisierung westlicher Demokratien zurück. Doch mehr noch fällt ins Gewicht, dass Demokratien mit ihrem wissenschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Innovationspotenzial die entscheidenden Lösungsansätze zur Begrenzung des Klimawandels hervorbringen.

Vor diesem Hintergrund gilt es, die Vorzüge von Demokratien beim Klimaschutz fundierter zu erläutern und gegen oberflächliche Kritik zu verteidigen. Denn längst hat sich Klimapolitik zu einem Element des globalen Systemwettbewerbs, einem Gegenstand harter Machtpolitik, entwickelt.

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