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Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat ein wegweisendes Urteil gesprochen. (Foto: Nicola Quarz/​Mehr Demokratie/​Flickr)

Das deutsche Klimaschutzgesetz von 2019 ist in Teilen nicht mit den Grundrechten vereinbar. So hat das Bundesverfassungsgericht am heutigen Donnerstagmorgen geurteilt.

"Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030", teilte das Gericht in Karlsruhe mit.

Das Gesetz sieht vor, dass die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 sinken. Es legt dafür konkrete Reduktionspfade für einzelne Wirtschaftssektoren fest.

Vier Klagebündnisse hatten Verfassungsbeschwerde gegen die aus ihrer Sicht zu schwache Planung eingelegt. In erster Linie haben sich dazu einzelne Personen zusammengeschlossen, darunter die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer und der Schauspieler Hannes Jaenicke. Bei einer Beschwerde waren aber auch der Umweltverband BUND und der Solarenergie-Förderverein (SFV) unter den Kläger:innen. Das Urteil gibt ihnen nun teilweise Recht.

Das Grundgesetz schützt "auch in Verantwortung für die künftigen Generationen" die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere. In Bezug auf den Klimaschutz bedeutet das dem Verfassungsgericht zufolge, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad und möglichst sogar 1,5 Grad zu begrenzen, wie es im Pariser Klimaabkommen vereinbart wurde.

"Um das zu erreichen, müssen die nach 2030 noch erforderlichen Minderungen dann immer dringender und kurzfristiger erbracht werden", so das Gericht. "Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind."

Einklagen könnten diese Freiheitsrechte allerdings nicht die an den Beschwerden beteiligten Verbände – sehr wohl aber die Einzelpersonen.

Bis Ende 2022 muss der Gesetzgeber jetzt darlegen, wie es ab 2031 weitergehen soll. Für die Zeit vor 2030 hat das Verfassungsgericht die zu starke Freiheitsbeschränkung nicht bestätigt.

Praktisch geht es auch um die Klimapolitik bis 2030

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) sieht das Urteil deshalb nicht als Schlappe, sondern sogar als "schöne Bestätigung" für die Regierungspolitik. "Da wird gesagt, was wir bis 2030 festgelegt haben, das ist gut geregelt", sagte sie am Donnerstagmorgen.

"Jetzt gibt uns das Bundesverfassungsgericht im Kern auf, dass wir den Weg zur Klimaneutralität auch nach 2030 nicht nur in der Strategie beschreiben – das haben wir mit dem Klimaschutzplan 2050 ja gemacht –, sondern dass wir es auch gesetzlich klar regeln sollen."

Die gute Nachricht

Alles geht den Bach hinunter? Den Eindruck kann man beim (Klima-)​Nachrichtenlesen leicht bekommen, und oft stimmt er. Aber es gibt auch positive Entwicklungen. Die sammeln wir hier.

Praktisch dürfte das Urteil aber durchaus auch die Klimapolitik in diesem Jahrzehnt betreffen – es sei denn, die Politik kann darlegen, wie sie die Freiheitsrechte nach 2030 trotz aufgebrauchtem CO2-Budget sichern will. Kern der juristischen Argumentation ist schließlich, dass die heutige Planung die Freiheitsbeschränkungen in der Zeit danach erwarten lasse.

Sprich: Das neue Urteil greift zwar den späten deutschen Kohleausstieg oder den gebremsten Ausbau der erneuerbaren Energien nicht explizit an. Indirekt stellt es die entsprechenden Gesetze aber doch auf den Prüfstand.

Die Umweltministerin verwies darauf, dass durch die kürzliche Anhebung des EU-Klimaziels für 2030 ohnehin eine Anpassung auf Bundesebene fällig sei, unabhängig vom jetzigen Urteil.

"Urteil setzt weltweit einen neuen Maßstab"

Die Kläger:innen reagierten euphorisch. Als "bahnbrechend" bezeichnete Anwalt Felix Ekardt, der eine der  Verfassungsbeschwerden begleitet hat, das Urteil. "Das ist die erste Umweltklage, die vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg hat", sagte er am Donnerstagvormittag.

"Es ist ein unfassbar großer Tag für ganz viele und vor allem für die jungen Menschen, die seit drei Jahren für ihre Zukunft auf die Straße gehen", sagte Luisa Neubauer. "Wir wurden belächelt, ausgelacht, diskreditiert – und jetzt spricht uns ein Gericht Recht zu." Die Klimabewegung könne "jetzt mit einem ganz anderen Selbstbewusstsein eine 1,5-Grad-Politik fordern".

Die Anwältin Roda Verheyen hat Neubauer und ihre Mitkläger:innen vertreten. "Das Bundesverfassungsgericht hat im Grunde fast alle Erwartungen übertroffen", sagte sie. "Die Zeit für politische Klimaziele ist vorbei, sie müssen sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren." Das Urteil bedeute, dass die Bundesregierung einen plausiblen Reduktionspfad bis zur Klimaneutralität vorlegen müsse.

Verheyen geht auch von einer internationalen Wirkung aus, denn in vielen Ländern laufen Klimaklagen, deren Zahl ständig wächst. "Das Bundesverfassungsgericht ist ein weltweit anerkanntes Gericht", meint die Anwältin. "Dieses Urteil wird den neuen Maßstab setzen."

Der Beitrag wurde mehrmals ergänzt, zuletzt um 12:30 Uhr.

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