Drei Hände halten je ein herzförmiges Blatt hoch, die Farben sind kräftiges Grün, helles Grün und Gelbgrün.
Endlich Regierungspolitik mit grüner Handschrift. (Foto: Kanrawee Jinpanich/​Shutterstock)

Klimareporter°: Frau Badum, sie sind Initiatorin und Vorsitzende des "Parlamentskreises Braukultur". Mit dem wollen Abgeordnete fraktionsübergreifend regionale Brauereien unterstützen. Wie viele Schreiben von Brauereien wegen der Erdgaskrise sind schon auf Ihrem Schreibtisch gelandet?

Lisa Badum: Tatsächlich hält sich das noch in Grenzen. Zu merken ist aber, dass die Brauereien jetzt massiv in Solarenergie investieren wollen.

In meinem fränkischen Wahlkreis zeigt sich dabei, dass beispielsweise der Netzanschluss ein Problem ist. Dafür verlangt der Netzbetreiber von einer Brauerei bis zu 50.000 Euro. Auch steigen die Energiekosten für die Brauereien.

Ich hörte von einem Unternehmen, das nächstes Jahr mit Mehrkosten von 250.000 Euro für Strom rechnet. Es wird sich sicher eine weitere Photovoltaik-Anlage aufs Dach setzen. Hier zeigen sich ganz praktisch die Herausforderungen bei der Energiewende.

Zwei Drittel der Energie, die Brauereien nutzen, stammen aus Erdgas. Kamen da noch keine Hilferufe?

Dass es zu gravierenden Engpässen kommen kann, ist bei vielen Unternehmen noch nicht so ganz angekommen. Schließlich können bei einem Gasnotstand nicht alle Unternehmen oben auf der Prioritätenliste stehen, wenngleich das ganze Lebensmittelhandwerk aus meiner Sicht sehr wichtig ist. Umso wichtiger, dass wir moderne Wärmekonzepte unterstützen.

Als Sie im Januar den Parlamentskreis mitgründeten, dachten Sie sicher nicht im Traum daran, dass regionale Bierhersteller möglicherweise dichtmachen müssen, weil es an Erdgas fehlt.

Die Lage der gesamten Gesellschaft hat sich seitdem komplett geändert. Lebensmittelproduzenten müssen die Preise erhöhen, und das trifft viele Menschen.

Wir haben zwar die Entlastungspakete auf den Weg gebracht. Da müssen wir aber jetzt noch sehen, inwieweit welche Unterstützung wo hilft und was wir in der Zukunft noch tun müssen. Die Energiepreispauschale wird auch erst ab September ausgezahlt.

Von daher ist die Einführung eines Klimageldes enorm wichtig. Es verbindet die beiden Punkte Klimaschutz und Entlastung der Bürgerinnen und Bürger.

Ist es da nicht ärgerlich, dass das Klimageld, obgleich im Koalitionsvertrag beschlossen, so auf die lange Bank geschoben wird?

Beim Klimageld sind wir noch im Zeitplan. Im Koalitionsvertrag steht, dass zuerst die EEG-Umlage abgesenkt wird. Das haben wir gemacht, und das senkt den Strompreis.

Das Klimageld hängt jetzt an der Frage, wie schnell das Auszahlungsmodell zustande kommt. Das Bundesfinanzministerium hat den Auftrag, das Modell bis zum kommenden Jahr zu entwickeln. Insofern sehe ich die Entwicklung nicht so pessimistisch.

Natürlich wäre ich froh, wenn das Klimageld so bald wie möglich kommt, und werde mich mit weiteren Abgeordneten dafür einsetzen.

Ob man aufs Klimageld schaut, aufs Tempolimit, auf Deutschlands Haltung in der EU-Taxonomie oder auf die wieder aufgeflammte Atomdebatte – hat sich inzwischen nicht herausgestellt, dass nur einer Partei in der Ampel-Koalition der Klimaschutz wirklich ein Herzensanliegen ist?

Porträtaufnahme von Lisa Badum.
Foto: P. Haas, S. Hilgers

Lisa Badum

Die studierte Politik­wissen­schaftlerin und langjährige Bürger­energie­politikerin ist seit 2017 Bundes­tags­abgeordnete der Grünen. Als Obfrau im Klima- und Energie­ausschuss bestimmt sie den Kurs ihrer Fraktion entscheidend mit. Badum ist auch Vorsitzende des Unter­ausschusses für inter­nationale Klima- und Energie­politik. 

Ich hoffe schon, dass alle in der Koalition noch ihr grünes Herz entdecken. Es gibt aber auch klare Vorgaben, die wir mit dem Klimaschutzgesetz einhalten müssen.

Klimaschutz ist keine Glaubensfrage oder ein Anliegen, mit dem nur eine einzige Partei etwas für sich gewinnt. Klimaschutz ist eine Überlebensfrage.

Im Koalitionsvertrag steht, dass wir gemeinsam auf den 1,5-Grad-Pfad kommen wollen. Deutschland ist in internationale Regelwerke eingebunden, in den Green Deal der EU und weitere. Im Herbst steht der nächste Weltklimagipfel an.

Deutschland könnte versuchen, den Kopf klimapolitisch in den Sand zu stecken. Das wird uns aber nicht weit tragen.

Ausgelöst vor allem durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine, ist ein altes Narrativ auferstanden: Die aktuelle Krise ist immer wichtiger als die Klimakrise.

Aktuell heißt das: Jetzt müssen wir erstmal wieder auf Erdgas setzen, wenn auch aus anderen Quellen, wir müssen Kohlekraftwerke wieder anwerfen und steigern den Ölverbrauch mit dem Tankrabatt – dafür kommt dann aber die Energiewende um so schneller, geradezu disruptiv. So halten wir dann auch die Klimaziele ein. Kann man diese Botschaft glauben?

Beides muss parallel und gleichzeitig laufen. Mit der Energiewende können wir nicht warten, bis die neuen LNG-Terminals laufen.

Deswegen haben wir die ganzen Erneuerbaren-Gesetze jetzt beschlossen. Und es passiert auch etwas: Die Leute investieren zum Beispiel in Wärmedämmung, weil die Energiepreise so hoch sind.

Das ist natürlich ein Balanceakt, bei dem die Energiewende gegenüber der Versorgungssicherheit nicht hinten runterfallen darf. Vor allem müssen Effizienz und Energiesparen noch mehr in den Fokus rücken. Wir können nicht einfach so weitermachen wie bisher.

Energieexpert:innen sehen die Energiekrise auch als Chance, bei den Erneuerbaren schneller voranzukommen. Noch nie lag die Notwendigkeit, von den fossilen Energien loszukommen, politisch so klar auf der Hand – aber gibt es die Chance zum Beschleunigen wirklich?

Ich sehe schon, dass die Energiekrise etwas ausgelöst hat. Dass wir 2035 bei 100 Prozent erneuerbarem Strom sein wollen und dass wir die Gebäudeeffizienzstandards anheben – beides war nicht Teil des Koalitionsvertrages.

Es gibt Fortschritte. Für mich sind die aber noch zu gering. Noch nicht alle haben begriffen, in welch ernster Lage wir uns befinden.

Das Ziel, dass Deutschland sich 2035 zu 100 Prozent mit Grünstrom versorgt, wurde im "Osterpaket" noch gestrichen – vermutlich, weil es nicht im Koalitionsvertrag steht. Sind Sie enttäuscht über die Streichung?

Natürlich hätte ich mir das Ziel gewünscht, auch im Sinne eines stärkeren internationalen Zeichens. Dennoch ist mit dem gesetzlich festgelegten und mit Ausbaupfaden hinterlegten Ziel, bis 2030 auf 80 Prozent erneuerbaren Strom zu kommen, der Weg bis 2035 ohnehin vorgezeichnet.

Das "Osterpaket" war vom Bundeskabinett bereits mit der Maßgabe beschlossen worden, dass wesentliche Teile noch von den Regierungsfraktionen auszuhandeln sind. Tatsächlich einigten sich SPD, Grüne und FDP nach wochenlangen Verhandlungen erst kurz vor Ultimo. Wo sehen Sie die Gründe für diesen Ablauf, der auf Beobachter teilweise chaotisch wirkt?

Dass so viele Energiegesetze in so kurzer Zeit durch Bundestag und Bundesrat gebracht wurden, ist eine große Leistung. In dieser Geschwindigkeit sollte es aber nicht in der gesamten Legislaturperiode laufen. Das überfordert die Ministerien und uns Parlamentarier:innen.

Aufgrund der Situation mussten wir es jetzt so durchziehen. Für die Zukunft wünschen wir uns im Parlament aber, stärker bei der Vorbereitung eines Gesetzes beteiligt sein zu können.

Seit Anfang April sind Sie auch Vorsitzende des neuen Unterausschusses für internationale Klima- und Energiepolitik. Die dafür zuständige Außenministerin Annalena Baerbock besuchte gerade den Inselstaat Palau im Pazifischen Ozean. Waren Sie mitgereist?

Es war geplant, dass ich die Außenministerin auf ihrer Asienreise begleite. Allerdings kamen dann wichtige Abstimmungen im Bundestag dazwischen, bei denen ich anwesend sein musste. Beim nächsten Mal klappt es bestimmt.

An dieser Stelle möchte ich das Engagement von Annalena Baerbock unterstreichen: Sie treibt die Klimaaußenpolitik mit Nachdruck voran, und das ist ein großer Gewinn.

Inselstaaten wie Palau sind, realistisch gesehen, in ihrer heutigen Existenz kaum noch vor dem Klimawandel zu bewahren. Die globalen CO2-Emissionen stagnieren zwar, eine Trendwende nach unten ist aber nicht zu erkennen. Dabei müssten laut Weltklimabericht die Emissionen bis 2030 um gut 40 Prozent sinken, wollen wir eine Chance auf das 1,5-Grad-Ziel haben.

Ich sehe das nicht ganz so negativ. Die G7-Staaten haben sich in Elmau kürzlich stärker mit dem Klimathema beschäftigt als in den Jahren zuvor. Auch wurden noch einmal die Ziele bekräftigt, den Stromsektor bis 2035 zu dekarbonisieren und den Kohleausstieg zu vollziehen.

Selbst China will außerhalb seiner Grenzen nicht mehr in Kohle investieren. Auch wenn fraglich ist, wie diese Ziele umgesetzt werden, gibt es positive Punkte.

Was halten Sie von dem bis Ende 2022 zu schaffenden Klimaklub der G7?

Der kann beim Einrichten gemeinsamer Standards hilfreich sein. Zum Beispiel, wie grüner Wasserstoff definiert wird, oder bei der Einführung verbindlicher Ökoquoten in der öffentlichen Beschaffung. Der Klimaklub sollte auch für ein einheitliches CO2-Preissystem werben oder für alternative Lösungen, wenn ein Land keinen CO2-Preis einführen will.

Für mich ist der Klimaklub darum eher dazu geeignet, einen common ground zu schaffen, ein gemeinsames Verständnis von Klimapolitik.

Der G7-Gipfel sollte ja auch ein Signal für den nächsten Weltklimagipfel im Herbst in Ägypten setzen. Was erwarten Sie von diesem?

Die Weltklimagipfel mit 192 teilnehmenden Staaten sind aus meiner Sicht immer etwas überfrachtet. Russland und Saudi-Arabien waren zum Beispiel immer dabei und agierten nie besonders konstruktiv.

Insofern muss man sich fragen, was von den Weltklimagipfeln zu erwarten ist und was sie leisten können. Deswegen sind bilaterale oder trilaterale Energiepartnerschaften als Ergänzung enorm wichtig.

Da sind Deutschland und die EU gefragt, afrikanischen Ländern ein Angebot machen, damit sie nicht von Kohle auf Erdgas umsteigen, sondern direkt in Erneuerbare investieren. Auch Vereinbarungen zu grünem Wasserstoff mit Ländern im Nahen Osten finde ich unterstützenswert. Da gibt es schon Bewegung.

Was ich echt deprimierend finde, ist die jüngste Entscheidung des Obersten Gerichts der USA, die Klimabefugnisse der Umweltbehörde einzuschränken. Wie dramatisch das wird, lässt sich noch nicht genau abschätzen.

Alles in allem: Der globale Klimaschutz bleibt schwierig, aber ich sehe Positives.

Von Franz Müntefering gibt es den berühmten Spruch: "Opposition ist Mist." Politiker, die nicht aufseiten der Regierung sitzen, halten dem entgegen: Auch in der Opposition könne man Veränderungen erreichen. Welcher Haltung neigen Sie inzwischen zu?

Die Jahre in der Opposition fand ich gut und spannend. Wir haben viele Konzepte entwickelt, dachten visionär und stellten Forderungen. Das ist enorm wichtig, um eine Debatte in Gang zu bringen.

In der Opposition haben wir Grüne maßgeblich dazu beigetragen, dass in Deutschland der CO2-Preis eingeführt und der Kohleausstieg beschlossen wurde.

Jetzt gefällt mir die Arbeit als Abgeordnete noch besser. Man weiß einfach, im Ministerium sitzen Leute, denen Klimaschutz wichtig ist.

Wenn da aber ein Minister ist, der einfach nichts macht, wie das beim Vorgänger von Robert Habeck der Fall war, dann stieß man an eine unsichtbare Mauer. Es gab es Lähmung und Stillstand, gegen die man nicht ankam.

Jetzt passiert hingegen so viel, dass man schauen muss, den Überblick zu behalten. Diese Dynamik ist mir aber so lieber. Dabei die Menschen mitzunehmen, da sind wir als Abgeordnete besonders gefragt.

Mehr und mehr stellt sich heraus, welche großen Chancen die Bundesregierungen in der letzten Dekade energie- und klimapolitisch vergeben haben. Das fällt uns jetzt ziemlich brutal auf die Füße.

Das ist wirklich bitter. Mich motiviert aber, dass die Akteure der Energiewende noch immer da sind.

Windenergie in Bayern war die letzten acht Jahre blockiert, aber jetzt siedeln sich die Windfirmen wieder an. Wir können die Energiewende noch einmal neu starten, beliebig oft wird das aber nicht möglich sein. Jetzt gilt's!

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